Wer Liebe verspricht
er lächelte, »meine Frau pflegt keinen Umgang mit Engländerinnen. Und natürlich zeigt sie sich nie, wenn die Männer anwesend sind.«
Olivia wußte, daß die Sitte des Purdah in Indien weit verbreitet war, und sie wurde verlegen, weil sie das vergessen hatte. Bei den Burra Khanas waren zwar gelegentlich einzelne Inder anwesend, aber niemals eine Inderin. Olivia versuchte, sich die Maharani vorzustellen – eine Frau, die zweifellos ganz im traditionellen Leben aufging und wenig Erfahrung mit der Außenwelt hatte. Lady Bridget hatte Olivia gesagt, sie werde sich vermutlich zu Tode langweilen. »Die Eingeborenenfrauen, besonders die hochgeborenen, können schrecklich langweilig sein. Sie sitzen nur in einer Ecke, lächeln dumm und schnattern in ihrer Sprache.« Sie war immer noch sehr verärgert über das verhinderte Mittagessen mit Lady Birkhurst und hatte Olivia das Wochenende in Kirtinagar in düsteren Farben gemalt.
Der Palast der Maharani – und der Zenana, wie die Frauengemächer genannt wurden – stand in einiger Entfernung vom Hauptgebäude und war durch Reihen hoher Laubbäume den Blicken entzogen. An einer Seite lag ein kleiner See, der mit tellergroßen weißen und rosa Lotosblüten übersät war – ein wirklich hübscher Anblick. Die Privatgemächer der Maharani lagen im ersten Stockwerk. Sie waren groß, hell und sonnig. An einem Ende befand sich eine Veranda, wo die Maharani ihre Besucherin erwartete. Es folgte die offizielle Vorstellung, Grüße wurden ausgetauscht und auf einem Tablett kalte Erfrischungen gereicht. Dann fragte die Maharani etwas scheu: »Die Fahrt muß Sie ermüdet haben, Miss O’Rourke. Nach vier Stunden auf der schlechten Straße möchten Sie sich vielleicht ausruhen.«
»Nein, keineswegs«, versicherte Olivia ihr rasch, denn sie konnte den Blick nicht von dieser märchenhaften Umgebung wenden. »Dazu ist alles viel zu aufregend. Im Augenblick wäre mir nur ein Bad lieb, und danach könnte ich mich umziehen.« Die Frau, die ihr gegenübersaß, sah aus, als sei sie höchstens dreißig. Sie war zierlich, nicht sehr groß, aber die Augen in ihrem dunklen, glatten Gesicht sahen sie wach und intelligent an. Sie sprach nicht ganz so fließend Englisch wie der Maharadscha, aber korrekt und klar. Also war auch ihr die fremde Sprache durchaus vertraut. Olivia konnte ihre Überraschung nicht verbergen und machte eine Bemerkung. Die Maharani errötete.
»Ich wurde von einer englischen Gouvernante erzogen, bis ich fünfzehn war«, sagte sie und freute sich sichtlich über Olivias Kompliment. »Aber jetzt habe ich kaum Gelegenheit, Ihre Sprache zu sprechen.«
Sie plauderten noch ein wenig, und dann entschuldigte sich der Maharadscha mit dem Hinweis auf unerledigte Arbeiten in den Amtsräumen. Er bedauerte, das Mittagessen nicht mit ihnen einnehmen zu können, versprach jedoch, sie würden sich am Abend länger sehen. In gewisser Hinsicht hörte Olivia das mit Erleichterung, denn es würde sehr viel einfacher sein, die Maharani besser kennenzulernen, wenn sie allein waren. Die junge Frau hatte ein einnehmendes Wesen, und Olivia stellte erfreut fest, daß die Maharani – abgesehen von der obligatorischen Förmlichkeit – beinahe mädchenhaft ungezwungen mit ihr sprach. Das überraschte sie, denn wie Sir Joshua gesagt hatte, war sie Mutter zweier Kinder. Trotz Lady Bridgets düsterer Prophezeiungen verstanden sich die beiden Frauen auf Anhieb sehr gut. Olivias Spannung wich. Es sah ganz danach aus, als sollten sich ihre Befürchtungen im Hinblick auf das Wochenende als grundlos erweisen.
»Ich gestehe, ich freue mich, daß Sie sich nicht ausruhen wollen, Miss O’Rourke«, sagte die Maharani, nachdem der Maharadscha gegangen war. »Die Zeit ist kurz, und wir müssen über vieles sprechen.« Sie gab ein Zeichen, und sofort tauchte eine Dienerin auf.
»Ihre Zimmer sind direkt unter meinen. Ihr Bad wartet. Ich hoffe, Sie finden alles zu Ihrer Zufriedenheit.« Sie machte eine Pause, wandte den Blick ab und errötete. »Ich habe angeordnet, daß Ihre Aja und das andere Personal gut untergebracht werden. Ich versichere Ihnen, Sie werden Ihre persönlichen Dienstboten nicht brauchen. Zwei meiner Zofen stehen Ihnen Tag und Nacht zur Verfügung.«
Olivia sollte die Bedeutung dieser Vorkehrungen erst später begreifen. Im Augenblick nahm sie zufrieden alles als gegeben hin. Trotz ihrer Verärgerung war Tante Bridget entschlossen gewesen, die Formen zu wahren, und hatte darauf bestanden,
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