Wer Liebe verspricht
Raventhornes Haus erlebt hatte, enthielten kleine Schalen auf den silbernen Tabletts die einzelnen Gerichte, um ihren Geschmack nicht zu vermischen. Diesmal lag jedoch nicht jene Spannung in der Luft, und Olivia konnte aufmerksam zuhören, als die Maharani jedes Gericht ausführlich beschrieb. Sie staunte über den Einfallsreichtum der indischen Küche. Vergleiche waren unvermeidlich, denn die Maharani erkundigte sich nach den Eßgewohnheiten der Amerikaner zu Hause.
»Ich nehme an, die Amerikaner müssen sich ihr Fleisch durch die Jagd beschaffen«, sagte die Maharani, als sie nach dem Essen auf der Veranda saßen und starken süßen Mokka tranken. »Und deshalb können wohl auch Sie gut mit Feuerwaffen umgehen?«
»Ja, das muß man in meiner Heimat«, erwiderte Olivia. Die Bemerkungen ihrer Gastgeberin über ein Land, von dem kaum jemand etwas wußte, überraschte sie. »Wir benutzen die Waffen nicht nur für die Jagd. Wenige Amerikaner würden es wagen, auf langen Reisen oder in den neuen Siedlungen wie den Bergwerksstädten, wo immer noch Gesetzlosigkeit herrscht, keine Waffe zu tragen. Viele Farmer und Rancher leben einsam, wie auch wir, und Langfinger sind eine ständige Bedrohung.«
»Langfinger?«
»Viehdiebe. Wenn man nicht wachsam ist, kann man seine Herde über Nacht verlieren. Mein Vater hat darauf bestanden, daß ich lerne, mit der Waffe umzugehen, als ich noch ein Dreikäsehoch war.«
»Dreikäsehoch?« fragte die Maharani verständnislos.
»Als ich noch sehr klein war«, erklärte Olivia rasch.
»Ich verstehe. Mein Vater hat mir ebenfalls Schießunterricht erteilt, als ich noch sehr klein war. Auch bei uns gibt es Gesetzlosigkeit.«
»Wirklich?« Olivia warf einen erstaunten Blick auf die zarten, dunkelhäutigen Hände. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß diese Hände mit einem Gewehr umgingen, oder daß das überhaupt einmal nötig sein könnte. »Aber sind Jagen und Schießen in Indien nicht ausschließlich Vorrecht der Männer?«
»Nicht in Herrscherfamilien.« Die hoheitsvolle Miene der Maharani verriet Selbstbewußtsein. »Die Geschichte kennt viele Fälle von Maharanis und Prinzessinnen, die den Schleier abgelegt und gegen Eindringlinge gekämpft haben, die ihre Männer erschlagen hatten.« Die Maharani sprach ruhig, beinahe beiläufig. Das wies auf eine innere Stärke hin, die Olivia bei einer so durch und durch weiblichen Frau nicht vermutet hätte. »Aber erzählen Sie mir von zu Hause, Miss O’Rourke. Ich habe gehört, daß Sie recht erfolgreich eine Farm betreiben.«
»Nun ja, beinahe jeder hat Land, das er irgendwie nutzt. Wir züchten auf unserer Ranch Pferde. Wir haben auch etwa hundert Rinder mit unserem Brandzeichen. Das meiste sind Durhams, aber vor kurzem haben wir Longhorns gekauft, um robustere Tiere zu bekommen.«
»Aber bei so viel Arbeit beschäftigen Sie doch sicher Leute?« Olivia lächelte. »O ja. Wir haben einen sehr guten Vorarbeiter und mehrere Männer, die das Vieh hüten. Aber mein Vater ist viel auf Reisen, und deshalb liegt normalerweise ein großer Teil der Verantwortung bei mir.«
»Mein Mann sagt, Ihr Vater ist Schriftsteller. Worüber schreibt er?«
»Über alles, was ihm am Herzen liegt.« Olivia wurde ernst. »Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft wie Sklaverei, Verletzung der Bürgerrechte und ungesunde Arbeitsbedingungen in Fabriken – alles, was seiner Meinung nach aufgedeckt und zur Sprache gebracht werden sollte. Im Augenblick hält er sich zum Beispiel wegen der Abschlachtung der Wale im Pazifik auf.« Sie richtete sich stolz auf.
»Mein Vater glaubt an Gerechtigkeit für alle. Er ist, wie seine Freunde sagen, eine ehrliche Haut.«
»Haut?«
»Ein ehrlicher Mensch.« Olivia lachte. »Ja, ich verstehe, daß ich mit meinen Ausdrücken manchmal die Leute verwirre.«
»Nein, es liegt an meinen mangelhaften Sprachkenntnissen«, widersprach die Maharani bescheiden. »Aber sagen Sie mir, inspiriert Sie das nicht dazu, in der Art Ihres Vaters zu schreiben? Bei soviel Anregung interessieren Sie sich sicher mehr für Bücher als für die Arbeit auf der Farm.«
Olivia sagte bedauernd: »Das stimmt, und ich lese auch sehr viel. Aber ich bin ehrlich genug, mir einzugestehen, daß mir die Begabung meines Vaters fehlt. Wenn ich wieder zu Hause bin, möchte ich in Sacramento eine kleine Schule eröffnen. Es gibt schon ein paar Schulen, aber wir könnten ganz bestimmt noch eine gebrauchen. Bis dahin fröne ich meiner Leidenschaft für Bücher,
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