Wer Liebe verspricht
indem ich Sally, das heißt Mrs.MacKendrick, unserer Nachbarin und meiner besten Freundin, in ihrer Leihbücherei in der Stadt helfe.«
Es folgten weitere Fragen, die Olivia so ausführlich wie möglich beantwortete. Es kam ihr vor, als kenne die Neugier der Maharani auf ihr Land und Leben keine Grenzen. Natürlich war sie dankbar, denn es machte ihr Vergnügen, mit jemandem über ihre Heimat zu sprechen, der sich so sehr dafür interessierte. Und doch wurde sie das merkwürdige Gefühl nicht los, daß die Maharani sie, nun ja, ausfragte. Das war natürlich absurd, beruhigte sie sich. Im Laufe der Stunden ließ die anfängliche Wachsamkeit in den dunklen Augen der Maharani nach, aber wenn auch etwas von der Förmlichkeit und der Scheu geschwunden war, wurde Olivia den Eindruck nicht los, daß ihre Fragen irgendwie berechnet wirkten. Ein Thema ergab sich aus dem anderen. Sie sprachen auch über Politik, und es wurde deutlich, daß die Maharani politischen Themen ebenso große Aufmerksamkeit schenkte wie der Maharadscha.
»Beschäftigen Sie sich nur mit der Arbeit der amerikanischen Regierung, oder interessiert Sie auch unsere Situation hier in Indien?«
Olivia überlegte kurz und sagte: »Das interessiert mich sehr. Aber ich muß gestehen, ich weiß kaum mehr als das, was andere darüber sagen. Das politische System ist hier so anders als zu Hause. Nicht schlechter oder besser«, fügte sie rasch hinzu, »einfach anders. Aber etwas verstehe ich wirklich nicht. Weshalb sind die Engländer hier in Indien so … ganz anders als die, die ich in Amerika kennengelernt habe? Sie haben dieselben Wurzeln, und doch unterscheiden sie sich in ihrem Denken und ihrer Einstellung von den Engländern zu Hause.«
Die Maharani dachte länger über diese Frage nach. »Ich nehme an, in Ihrer Heimat sind die Engländer wie alle anderen«, sagte sie schließlich. »Gleiche unter Gleichen, die um das Überleben kämpfen müssen. Hier sind sie praktisch die Herrscher. Wenn ihre politische Macht in Indien schwindet, so wie es in Ihrer Heimat geschehen ist, werden sie vermutlich wieder wie alle anderen sein.«
»Glauben Hoheit wirklich, daß ihre Macht in Indien jemals schwindet?« fragte Olivia zweifelnd. »Sie scheint sich im Gegenteil mit jedem Jahr zu festigen.«
»Das ist eine Phase. Sie wird zu Ende gehen.«
Aus dem Gesicht der Maharani sprach soviel Überzeugung, daß Olivia staunte. »Sind viele Inder dieser Ansicht?«
»Zur Zeit vielleicht nicht, aber eines Tages werden es viele sein.« Plötzlich lächelte sie. »Das versichert uns jedenfalls immer wieder ein guter Freund, dem diese Vorstellung beinahe heilig ist.«
Die Maharani hatte den Namen des ›guten Freundes‹ nicht genannt. Aber das war auch nicht nötig. Der flüchtige, verstohlene Blick in Olivias Richtung verriet deutlich genug, um wen es sich handelte. Olivia lief ein Schauer über den Rücken, und es kostete sie große Mühe, keine Reaktion zu zeigen. Sie hatte sich seit ihrer Ankunft in Kirtinagar gefragt, wieviel der Maharadscha seiner Frau von der Unterhaltung an Estelles Geburtstag berichtet hatte. Nun erkannte sie, daß es wenig gab, was die Maharani nicht wußte – einschließlich Olivias übergroßer Neugier im Hinblick auf Jai Raventhorne. Als Olivia plötzlich blitzartig bewußt wurde, daß die Maharani weit besser informiert war, als es die bis dahin lockere Unterhaltung erkennen ließ, errötete sie und versuchte verzweifelt, das Thema zu wechseln. Sie sagte das erste, was ihr in den Sinn kam – sie machte der Maharani ein Kompliment über die Eleganz und die Farbe ihrer Kleidung. Vielleicht war Jai Raventhorne für die Maharani ein ähnlich heikles Thema, denn sie ging bereitwillig auf das Ablenkungsmanöver ein. Sie bot Olivia eine Besichtigung ihrer traditionellen Garderobe an, und Olivia stimmte sofort zu.
Die Maharani und ihre Frauen trugen alle weite, knöchellange Röcke mit goldenen Borten, langärmlige Blusen und wogende Gazeschleier, die den Kopf bedeckten. Was Olivia nun im fürstlichen Ankleidezimmer sah, nahm ihr den Atem. Alles war mit Gold- und Silberstickereien verziert, mit Goldplättchen und bunten Halbedelsteinen besetzt, die Olivia zu Ausrufen der Bewunderung hinrissen: Pfauenblau, Scharlachrot, Flamingorosa, Safrangelb, leuchtendes Rosa, Papageiengrün, Königspurpur und alle Schattierungen von Orange und Rot. Während ihr die Gewänder gezeigt wurden, erfuhr Olivia mehr über die Kinder des Fürstenpaares – ein Junge
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