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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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verhört hatte, denn es gab einfach keine logische Erklärung für das, was er ihrer Meinung nach gesagt hatte. Mit einem Schulterzucken betrat Olivia das Gebäude. In einem Raum voller alter Bücher herrscht wohl überall auf der Welt eine ähnliche Atmosphäre, so wie der würzige Geruch feuchter Erde stets Erinnerungen an andere Plätze, andere Zeiten heraufbeschwört. Die Glastüren der mit Samt ausgeschlagenen Bücherschränke standen offen. Die nach Sprachen und Themen geordneten Bücher waren in Kalbsleder gebunden, ordentlich beschriftet und trugen die goldgeprägte Krone von Kirtinagar. Der Bestand war in ebenfalls ledergebundenen und geprägten Geschäftsbüchern erfaßt. Die Einträge in der gestochenen, dekorativen Schrift, eine natürliche Folge indischen Schönheitsempfindens, gaben außer Querverweisen auch Informationen zu den einzelnen Bänden. Eine Petroleumlampe verbreitete einen hellen Lichtkreis auf dem Lesetisch, wo bereits drei oder vier für sie bestimmte Bücher lagen. Der Hofbeamte zog sich mit einem diskreten Hüsteln in das Nebenzimmer zurück und überließ Olivia sich selbst.
    Sie setzte sich und nahm die Bücher nacheinander behutsam in die Hand. Dabei überkam sie eine Woge der Sehnsucht, als sie an die wertvolle Büchersammlung ihres Vaters dachte, die ihrer Obhut anvertraut gewesen war, und an Sally MacKendricks Leihbücherei, die in einem einzigen Raum untergebracht war, und die man vornehm ›die Bibliothek‹ nannte. Sie und Sally hatten in großer Zufriedenheit viele Stunden damit verbracht, die Bücher zu etikettieren, zu katalogisieren und zu ordnen, die Sally mit Hilfe von Olivias Vater erstanden hatte, da sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mußte, nachdem Scott MacKendrick in der Mine einer Bande zum Opfer gefallen war, die widerrechtlich fremde Grubenanteile an sich brachte. Der leicht muffige Geruch war wie ein Gruß von zu Hause, aber die Umgebung, in der sie sich nun befand, hatte etwas Unwirkliches, eine traumähnliche Verklärtheit, die sie in eine andere Welt zu versetzen schien, in der sie sich nicht ganz zurechtfand. Olivia schien seit ihrer Ankunft in Kirtinagar darauf gewartet zu haben, daß etwas geschah. Sie hatte den Eindruck, am Rande eines dunklen Abgrunds der Unsicherheit zu stehen. Die Bücher waren vergessen. Olivia legte die Hände unruhig zusammen, löste sie wieder und registrierte ein wachsendes Unbehagen, das sie um so mehr irritierte, als es keinen Grund dafür gab.
    Im Nebenzimmer schlug eine Uhr elf. Olivia schreckte auf. Dann klappte sie seufzend das Buch zu, das vor ihr lag. Sie hatte nicht mehr als den Titel gelesen. Olivia kam sich irgendwie dumm vor, denn die Bibliothek war eigens für sie aufgeschlossen worden, und sie hatte die Gelegenheit nicht genutzt. Sie griff nach den Büchern, stand auf, schob den Stuhl ordentlich unter den Tisch zurück und wollte in das Nebenzimmer zu dem wartenden Hofbeamten gehen. Als sie sich umdrehte, erstarrte sie mitten in der Bewegung und holte tief Luft.
    In der hinteren Ecke des Raums saß Jai Raventhorne.
    Er hatte die ausgestreckten Beine auf einen Hocker gelegt und die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Gesicht lag im Dunkeln. Im ersten Augenblick glaubte Olivia verstört, es handle sich um eine Geistererscheinung. Aber dann fragte er: »Weshalb überrascht es Sie, mich zu sehen?« Er nahm die Beine vom Hocker und stand auf.
    »Wußten Sie nicht, daß ich kommen würde?«
    Es dauerte einen Augenblick, bis Olivia die Sprache wiederfand, und sie hörte sich zu ihrem Erstaunen sagen: »Ja, ich wußte es.«
    Plötzlich fügte sich alles zusammen – die späte Benachrichtigung, die es Sir Joshua unmöglich machte, die Einladung des Maharadscha anzunehmen; die Gewißheit, daß Lady Bridget ohne ihren Mann nicht kommen würde, und daß Estelle überhaupt nicht kommen wollte. Noch leichter war vorauszusehen gewesen, daß Sir Joshua eine so günstige Gelegenheit, sich bei Arvind Singh einzuschmeicheln, nur ungern nicht nutzen würde. Auch der einzig mögliche Ausweg lag auf der Hand: Er würde Olivia schicken.
    Instinktiv wußte sie auch, daß Jai Raventhorne das ganze Wochenende nur in der einen Absicht geplant hatte: sie wiederzusehen.
    Er kam zu ihr herüber und griff nach dem obersten Buch des Stapels, den sie auf den Armen hielt. »Hmmm. Finden Sie Bernière aufschlußreich?«
    »Ja. Sehr aufschlußreich.« Olivia war immer noch völlig verwirrt. Während sie sich bemühte, die Fassung

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