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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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eingehend informiert. Etwas an der Art, wie er sprach, die kurzen, erregten, begeisterten Sätze erinnerten Olivia plötzlich an ihren Vater, der auch oft in Verzückung geriet, wenn er etwas völlig Belangloses entdeckt hatte. Die unstillbare Neugier, mehr über den widersprüchlichsten Menschen zu erfahren, dem sie je begegnet war, erwachte wieder. Es drängte sie unwiderstehlich, zum Innersten dieser ›Zwiebel‹ vorzudringen, das sich selbst seinen besten Freunden entzog.
    »Wo haben Sie denn all Ihr Wissen erworben – hier in Indien?« fragte sie staunend.
    Er stand auf und klopfte den Staub von seiner Hose. »In der besten aller Institutionen«, erwiderte er trocken, »in der Schule der harten Schläge und der Universität der Erfahrung.«
    »Aber war das hier in Indien?« wiederholte sie.
    »Überall. Diese Institutionen gibt es auf der ganzen Welt.«
    Olivia hätte am liebsten mit dem Fuß aufgestampft. »Sie stellen mir persönlichste Fragen«, sagte sie mißmutig, »und trotzdem weigern Sie sich, mir eine einzige zu beantworten! Finden Sie das eigentlich richtig?«
    Selbst im Dunkel sah sie, wie seine Augen hart wurden. »Ich möchte nicht, daß Sie die Vorstellung haben, ich sei ein Mensch, der auf ›falsch‹ oder ›richtig‹ Rücksicht nimmt. Das bin ich nicht. Und mein Leben, so wie es war, mit all den Mängeln, die es vielleicht hatte, ist für Sie kaum von Bedeutung.«
    »Aber Sie sonnen sich doch in diesen Mängeln!« rief sie, beinahe verzweifelt über die unsichtbare Mauer, mit der er ihre Fragen abblockte.
    »Nein. Aber ich akzeptiere sie. Sie geben mir Besitzerstolz, denn sie gehören zu den wenigen Dingen, die mein, ganz allein mein sind.« Er beendete das Gespräch, indem er wütend davonstapfte.
    Am Eingang des Zenana warteten zwei Dienerinnen. Bei Raventhornes Näherkommen zogen sie jedoch die Schleier vor das Gesicht und verschwanden hinter den Büschen. In Olivias Kopf blitzte etwas auf, und wieder löste sich ein Rätsel. Raventhornes Anwesenheit war der Grund dafür, daß sie weder etwas von ihrer Aja noch von Sir Joshuas Dienern gesehen hatte! In Indien benutzte man Dienstboten oft, um die Geheimnisse anderer zu erfahren (deshalb war Kalkutta auch ein Dorf!). Also hatte Raventhorne das Risiko ausgeschaltet, daß die Templewoods etwas von ihrem Zusammentreffen hier in Kirtinagar erfuhren. Er war wirklich gerissen. Trotzdem fühlte sich Olivia angesichts dieser Vorsichtsmaßnahme erleichtert.
    »Können Sie gut mit dem Gewehr umgehen?« fragte er plötzlich.
    »Ich kann treffen, wenn Sie das meinen.«
    »Und Sie fallen auch nicht vom Elefanten, wenn der Tiger auftaucht?«
    Sie musterte ihn kühl. »Ich glaube kaum. Ich habe schon früher gejagt – zwar keine Tiger, aber genauso gefährliche Tiere.«
    Er lachte leise. »Ich vergesse manchmal, daß Sie eine Amerikanerin sind, die die Nackenhaare sträubt wie ein Präriewolf, wenn er einen Angriff wittert.« Die harten Linien seines Gesichts schienen plötzlich weicher zu werden. Unvermittelt streckte er die Hand aus und berührte Olivias Wange. »Von wem haben Sie diese täuschend unschuldigen und beunruhigend schönen Augen?«
    Olivia zuckte zusammen. Seine Finger waren eiskalt. »Von meiner Mutter. Sie …« Die Stimme versagte ihr.
    Er nahm die Hand nicht zurück, sondern fuhr zart die Linie ihres Kieferknochens nach. Behutsam strich er ihr ein paar Haare aus der Stirn und schob sie hinter ihr Ohr. »Sie geben sich einer Selbsttäuschung hin. Sie haben keine Ahnung, in welcher gefährlichen Lage Sie sich befinden.« Es klang ausdruckslos und monoton. Seine wahre Stimmung war weniger denn je zu erkennen. »Für mich sind Sie wie der Flügel eines Schmetterlings … so zart und immer in Gefahr, durch eine Berührung zerstört zu werden. Sie spielen mit Dingen, die kein Spielzeug sind.« Er seufzte und ließ die Hand sinken.
    »Das beunruhigt mich am meisten an Ihnen. Gute Nacht.« Damit ließ er sie allein.
    Olivia blieb lange regungslos stehen und starrte in die Dunkelheit. Sie nahm nichts wahr außer der Stelle auf ihrer Wange, die nach der Berührung seiner Fingerspitzen schmerzte, als habe sich ihr Abdruck in die Haut gebrannt. Irgendwo regte sich eine dunkle Ahnung, die langsam Gestalt annahm. Sie wußte, daß es Jai Raventhorne mit dieser Berührung unwiderruflich gelungen war, ihr Leben zu verändern. Etwas Heimtückisches kräuselte die ruhige Oberfläche ihres Lebens. Wenn sie sich nicht in acht nahm, besaß es die Kraft,

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