Wer liebt mich und wenn nicht warum
heutigen Sendung ist der typische Tagesablauf auf unserer Insel. Es ist jetzt gerade sechs Uhr. Weckzeit. Diesen Job hat Maiken übernommen und ich frage mich, wie lange sie das überleben wird. Erste Morddrohungen wurden bereits geflüstert.«
Man hört von Weitem ein rhythmisches Klopfen. Schwankend bewegt sich der Bildausschnitt auf die Verandatür in der Küche zu, das Geräusch wird lauter.
Jetzt sieht man Maiken. Sie sitzt im Schneidersitz auf der Veranda, die Augen geschlossen, und wendet ihr Gesicht der aufgehenden Sonne zu. Ihre kurzen Haare stehen in alle Richtungen ab. Sie schlägt mit den Handflächen auf eine fellbespannte Trommel.
»Klingt genau wie die Paukenschläge, die die Sklaven auf Galeeren angetrieben haben, und so ist das auch gemeint«, sagtTom aus dem Off. »Wenn diese Trommel ruft, wissen alle: Wer jetzt nicht sofort aufsteht, der wird in wenigen Minuten von Knut höchstpersönlich geweckt, und der hat einen nassen Schwamm dabei. Das riskiert keiner freiwillig.«
Szenenwechsel. Lauter käsige Gestalten sitzen schweigend um den Küchentisch herum und schaufeln sich geistesabwesend mit klobigen Löffeln Müsli in den Mund. Man hört nur das Ticken der großen weißen Küchenuhr, die an der Wand über dem Herd hängt.
»Das Team frühstückt«, erklärt Tom überflüssigerweise. »Ja, das ist wirklich ein verdammt lustiger Haufen. Alle freuen sich auf den neuen Tag, sie können es kaum erwarten, ihre überschäumende Schaffenskraft in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Und alle freuen sich auf Harris Morningshow mit dem Titel ›Finnisch für Anfänger‹. Jeden Morgen will Harri uns nämlich ein paar Worte aus seiner Muttersprache beibringen, das hat er versprochen.«
»Richtig«, sagt Harri und streicht sich zufrieden den Bart. »Seid ihr bereit? Wir beginnen mit einem besonders schönen Wort: Jäätelötötterö. Das ist Finnisch für Eiswaffel. Wusstet ihr, dass die Finnen die größten Eisesser in Europa sind? Nein, das wusstet ihr nicht, aber jetzt wisst ihr es. Und jetzt alle im Chor: Jäätelötötterö.«
Nur Simon reißt brav seinen Mund auf und blökt: »Jäätelötötterö«. Alle anderen verdrehen die Augen und Harri sieht ein bisschen enttäuscht aus.
»Nimm’s nicht persönlich.« Simon prostet Harri mit seinem Kaffeebecher zu. »Die Nacht war heftig. Bei denen kommt heute alles als Konfetti an.« Er grinst verschwörerisch in dieKamera. »Pass mal auf, ich erzähl mal einen Witz. Wetten, dass die den nicht kapieren. Also: Was liegt am Strand und spricht undeutlich? Na? Was?«
»Lilia vielleicht?«, fragt Vicky.
»Eine Nuschel!« Simon reißt den Mund auf und lacht wiehernd. Er lacht als Einziger.
Ein Typ und ein Mädchen mit Pferdeschwanz erheben sich ächzend, klopfen zum Zeichen des Abschieds auf den Tisch und verlassen das Haus.
»Das sind Karim und Friederike«, erklärt Tom. »Sie machen sich auf die Suche nach den Pferden und kontrollieren deren Gesundheitszustand. In die Herde ist nämlich vor ein paar Tagen ein neues Pferd eingegliedert worden und die Tiere sind unruhig. Wenn es zu Rangordnungskämpfen zwischen den Stuten kommen sollte, kann es passieren, dass sie sich gegenseitig verletzen. Außerdem sind zwei Tiere trächtig und auch nach denen muss man täglich sehen.«
Tom folgt den beiden aus dem Haus. »So. Ich vermute, dass die Pferde am Südufer sind, denn da sind sie morgens meistens. Und weil ich dort auch mit meinen Zaunpfosten anfangen will, begleite ich die beiden jetzt.«
Szenenwechsel. Im Sucher der Kamera erscheint ein hölzerner Hochsitz. Oben sitzen Karim und Friederike und beobachten mit Ferngläsern eine friedlich grasende Pferdeherde. Immer mal wieder setzen sie die Ferngläser ab und notieren etwas. Viel gibt es aber nicht zu beobachten, denn die graubraunen Tiere sehen kein bisschen unruhig aus.
Die Kamera schwenkt nach links, wo ein großer Stapel mit Zaunpfählen liegt. »Tja«, sagt Tom. »Hier sollte ich jetzt eigentlich hämmern und sägen, aber das geht gerade nicht, weil die Herde so nah ist. Das gibt mir Zeit, noch ein bisschen durch die Gegend zu streifen, vielleicht kann ich noch unsere Blümchensammler oder die Käferzähler filmen.«
Wieder ein Szenenwechsel. Vicky erscheint im Bild. Sie trägt eine khakigrüne Hose mit vielen Taschen, ein schwarzes Tank-Top und ein Stirnband gegen den Schweiß. An den Händen hat sie Gummihandschuhe. Sie winkt kurz, kniet sich auf den Boden und füllt mit einem winzigen Löffel
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