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Wer liest, kommt weiter

Wer liest, kommt weiter

Titel: Wer liest, kommt weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Denk
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aber kommen zu uns und kosten scheinbar nichts. Und sie scheinen manchmal noch faszinierender als die Wirklichkeit. Das liegt an ihren Angeboten, die unserem Wunsch nach Unterhaltung entgegenkommen. Ref 78

    Unser Wunsch nach Zerstreuung und Unterhaltung
    Das Vorspiel auf dem Theater am Anfang von Goethes Menschheitsdrama Faust ist auch deswegen so interessant, weil die drei Personen, die da auftreten und sich über das bevorstehende Schauspiel unterhalten – der Theaterdichter, der Theaterdirektor und die lustige Person – mit Goethe zu tun haben. Denn Goethe war alles zugleich: Er hat in Liebhaberaufführungen mitgespielt, er war 26 Jahre lang in Weimar Theaterdirektor und vor allem natürlich Dichter. Hier die Fortsetzung der soeben zitierten Verse des Theaterdirektors (Faust I, V. 95ff.):
Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.
    Der Dichter protestiert sofort gegen diese Vorstellung von Dichtung zur bloßen Unterhaltung des Publikums: Ihr fühlet nicht, wie wenig das dem echten Künstler zieme! Der Direktor aber weiß, was den Menschen gefällt: Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn. Und bitte möglichst viel und in kleinen Stücken. Ist das nicht genau das, was uns das Fernsehen und das Internet vor allem bieten? Youtube besteht nur aus Videoclips, aus Video-»Schnipseln« und verzeichnet mehr als 2.000.000.000, mehr als zwei Milliarden Aufrufe pro Tag.
    Was wir da und in den meisten visuellen Medien suchen, ist Zerstreuung, Zeitvertreib und Unterhaltung. Daß die Europäer etwa 5, die Amerikaner 8,5 Stunden pro Tag mit visuellen Medien verbringen, muß aber auch an diesen Medien selbst liegen.

25. Die Faszination der visuellen Medien
    Der Gasthof zur Krone in Hittisau in Vorarlberg bekam nach seiner mit höchster Handwerkskunst durchgeführten Renovierung nur drei Sterne zugesprochen: weil in den 20 renovierten Zimmern etwas ganz Wichtiges fehlt – der Fernsehapparat. Zum Glück konnte das junge Gastwirtsehepaar die fehlenden Apparate in einem Nebenraum vorweisen. Also erhielt das Hotel doch noch den hochverdienten vierten Stern. Und die meisten Gäste genießen gern einen Urlaub ohne Fernsehprogramm.
    Kürzlich bewohnte ich mit unserem Sohn, der dort an einem Mountainbike-Rennen teilnahm, in einem Viersternehotel in Riva ein Zimmer mit Blick auf den Gardasee – und auf einen großen TV-Bildschirm im Zimmer. Warum ist dieser für viele attraktiver als die Aussicht auf den Ort, die Berge und den See?
    Die erste und wichtigste Attraktion verrät schon der Name Fernsehen. Warum ist die Television so viel attraktiver als das Teleskop, das Fernrohr? Bei der Teleskopie fehlt der Ton und die spannende Handlung, außer im Theater, auch fehlt das Wunder der Ubiquität: Ich bin daheim und zugleich beim Tsunami.
    Davon hat Adelbert von Chamisso geträumt, als er im 10. Kapitel seiner Novelle Peter Schlemihl (1814) diesen in Siebenmeilenstiefeln Sightseeing machen läßt:
Ich stand auf den Höhen des Tibet, und die Sonne, die mir vor wenigen Stunden aufgegangen war, neigte sich hier schon am Abendhimmel, ich durchwanderte Asien von Osten gegen Westen, sie in ihrem Lauf einholend, und trat in Afrika ein. Ich sah mich neugierig darin um, indem ich es wiederholt in allen Richtungen durchmaß. Wie ich durch Ägypten die alten Pyramiden und Tempel angaffte, erblickte ich in der Wüste, unfern des hunderttorigen Theben, die Höhlen, wo christliche Einsiedler sonst wohnten.
    Doch diese »Ubiquität« des Fernsehzuschauers reicht nicht aus, um die Faszination des Mediums zu erklären.
    Besonders attraktiv bei allen visuellen Medien seit dem Kino (Kino heißt Bewegung) sind die bewegten Bilder. Denn von den vier Aufgaben des Sehens – Erkennen von Formen, Farben, Raumtiefe und Bewegungen – ist die vierte besonders wichtig.
    Der Neuropsychologe Richard L. Gregory schreibt in seinem Buch Auge und Gehirn. Psychologie des Sehens (2001):
    Die Wahrnehmung von Bewegung ist für alle Organismen ... von großer Bedeutung. Bewegte Objekte bedeuten in der Regel entweder Gefahr, mögliche Nahrung oder einen Geschlechtspartner, und schnelles und

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