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Wer liest, kommt weiter

Wer liest, kommt weiter

Titel: Wer liest, kommt weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Denk
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eigentlich im Deutschunterricht?«
    »Lesen und Schreiben!«
    »Und wie lange muß man Lesen und Schreiben lernen?«
    »Eigentlich immer.«
    »Und was lernt und übt man außerdem im Unterricht?«
    Keine Antwort. »Was tut ihr und was tue ich jetzt gerade?«
    »Hören bzw. Zuhören und Sprechen.«
    »Und in welchem Alter beginnen wir mit dem Hören?«
    Dann überlegten wir, daß die Kinder schon im Mutterleib den Herzschlag und die Stimme ihrer Mutter hören und nach der Geburt monatelang nur hören, ohne sprechen zu können. Denn sie lernen das Sprechen nur, weil sie vorher andere Menschen haben sprechen hören, und sie lernen nur die Sprache, die sie gehört haben, normalerweise die Sprache der Mutter, die Muttersprache. Wir lernen also im Deutschunterricht:

    Was aber verbindet diese vier Tätigkeiten miteinander?
    Was muß man immer auch tun, wenn man zuhört, spricht, liest oder schreibt? Beim Zuhören, Lesen, Sprechen und Schreiben muß man immer auch denken! Wenn man es nicht tut, hört man zwar, aber hört nicht zu, redet oder schreibt wirres Zeug, hört mit dem Lesen auf oder schläft dabei ein.

    Alle fünf Fähigkeiten aber sind für den Menschen zentral. Warum? Die Schüler hatten schon einmal gehört, wie der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) den Menschen definiert hat: als zōon politikòn, als staatenbildendes Wesen, als Gemeinschaftswesen (Quellenangaben finden Sie im Kapitel Quellenangaben).
    Wie kommt Aristoteles zu dieser Definition? Zunächst sagt er im 2. Kapitel seines Buchs Politik, daß sich das Weibliche und das Männliche der Fortpflanzung wegen verbinden, daß aus dem Paar eine Familie wird und aus mehreren Familien eine Dorfgemeinschaft; schließlich entstehe aus mehreren Dorfgemeinden der Staat, die Polis. Und dann bringt er die bekannte Definition:
    Daß der Mensch in höherem Grade ein staatenbildendes Lebewesen ist als jede Biene oder irgendein Herdentier, ist klar. Denn die Natur macht, wie wir behaupten, nichts vergebens.
    Nach dieser Bemerkung über die Sinnhaftigkeit und Zweckmäßigkeit alles Natürlichen formuliert Aristoteles die eigentliche und noch wichtigere Definition des Menschen:
    Der Mensch ist aber das einzige Lebewesen, das Sprache besitzt. Wörtlich heißt das: lógon de mónon ánthrōpos échei tōn zōōn, einen Logos aber hat allein der Mensch unter den Lebewesen. Ref 1
    Da »logos« Sprache und Vernunft heißt, muß man sich bei der Übersetzung entscheiden. Seneca definiert den Menschen im 41. Brief an Lucilius als animal rationale, als Vernunftwesen und Wilhelm von Humboldt in seiner ersten Rede vor der Preußischen Akademie 1820 als Sprachwesen: Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache. Wenn man die vorhergehende Definition hinzunimmt – der Mensch als Gemeinschaftswesen: als Paar und als Familie, im Dorf und im Staat –, dann könnte man den Sinn der beiden Definitionen so zusammenfassen:
    Der Mensch ist ein dialogisches Lebewesen, ein Lebewesen, das »Logos«, also Vernunft und Sprache hat, um dem Mitmenschen zuzuhören und mit ihm sprechen zu können.
    Im Deutschunterricht wird also das eingeübt und erweitert, was in diesem Sinn den Menschen zum Menschen macht: seine Sprache, die mündliche wie die schriftliche, und damit seine Kommunikationsfähigkeit und mit der Sprache das Denken.
    Und was für den Deutschunterricht gilt, gilt auch für das Lesen, bei dem wir das Denken, das Zuhören, das Sprechen und das Schreiben immer üben bzw. vorbereiten können. Dies soll in den ersten sieben Kapiteln dieses Buches beschrieben und bedacht werden.
     
    An dieser Stelle sei schon ein Zusammenhang erwähnt, der im zweiten Teil noch näher untersucht werden soll: der Zusammenhang zwischen dieser aristotelischen Definition des Menschen und den neuen und neuesten Medien.
    Wenn nämlich der Mensch ein kommunikatives Lebewesen ist, dann befriedigen das Fernsehen, das Internet und vor allem das Handy auf je verschiedene und fast immer unterhaltsame Weise dieses zutiefst menschliche Bedürfnis nach Kommunikation. Dies ist ein ganz wichtiger Grund für den scheinbar unwiderstehlichen Erfolg dieser Medien.
    Das Lesen hingegen gilt als einsame Tätigkeit. Aber vielleicht ist es gar nicht so einsam, wie wir oft hören und dann auch zu glauben geneigt sind? Der große römische Philosoph, Politiker und Dichter Lucius Annaeus Seneca (1–65 n. Chr.) jedenfalls behauptete, daß wir uns beim Lesen von Büchern mit den Autoren der Bücher unterhalten und mit

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