Wer lügt, gewinnt
genau andersherum gelagert sei. Ich sei die Einsamkeit leid und wolle Menschen um mich haben. Das ging ihr nahe. Ich konnte geradezu den kleinen Blitz sehen, der ihren Körper durchzuckte und auf ihrer Zunge einschlug. Sie fragte, ob ich gerne tanzen würde und welche Art von Musik mir gefiele. Durch dieses unverbindliche Gerede erfuhr ich, daß das Hotel nur sieben Gäste beherbergte und daß Fúlvia und Ronald Apartment 8 bewohnen würden. Ich richtete mich in Apartment 9 ein. Dann rief ich bei mir zu Hause an und hörte die Fernabfrage meines Anrufbeantworters ab. Wilmer hatte zweimal angerufen. Ich ließ Wasser in die Wanne laufen, nahm ein ausgiebiges Bad, nur um die Zeit totzuschlagen.
Die Nacht in São Francisco war wirkliche Nacht, schwarze Nacht und sonst nichts, vom Balkon meines Zimmers aus konnte ich nicht einmal die Bäume erkennen, die sich in wenigen Metern Entfernung befanden. Der Geruch des Waldes drang sogar durch meine Augen in mich ein, es war gespenstisch. Ich hörte, als Fúlvia Melissa mit Ronald ankam; übrigens hörte ich alles, was sie redeten, während sie ihre Sachen einräumten, es war kein Streiten, er war zuvorkommend, wenn er mit Fúlvia sprach, Liebling, hast du meinen Tennisschläger mitgebracht? In Wahrheit war sie es, die ihm gegenüber kurz angebunden war, ja doch, habe ich, sagte sie in gereiztem Ton, muß das sein, daß du mir so antwortest? fragte er, du fragst mich jetzt zum dritten Mal nach deinem Schläger, sagte sie, du hörst nicht zu, wenn ich dir was sage. Sogar die Klospülung konnte ich hören. Ich erschien als erster im Restaurant. Dona Iolanda hing am Telefon, legte aber sofort auf, um mich mit ihrem Enthusiasmus und ihrer Zuneigung besser drangsalieren zu können. Zwei Ehepaare kamen hereinspaziert, die Frauen vorneweg, figurbetont gekleidet, beschwingt, langes Haar, die Männer in Polohemden.
Fúlvia und Ronald kamen als letzte. Ich war der einzige in der Gegend, der kein Polohemd trug. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mir eins gekauft. Die ganze Zeit über legte Ronald ein freundliches Benehmen an den Tag, war aufmerksam, aß, redete, lachte. Die beiden anderen Ehepaare desgleichen. Ich ging zurück in mein Zimmer und stellte den Fernseher an. Der Empfang war hundsmiserabel, ich schaltete aus. Dann rief Fúlvia an.
Ronald ist in die Zentrale gegangen, um ein Fax abzuschicken, sagte sie. Es hat nicht den Anschein, als ob er dich grob behandeln würde, sagte ich. Wenn andere dabei sind, ist er immer so, gab sie zur Antwort. Hast du geprüft, ob sie Serum haben? fragte ich. Rein pro forma habe ich es überprüft, sagte sie, ich wußte, daß sie keines haben. Seit einiger Zeit beliefert das Institut nur die Krankenstationen mit Serum. Er kommt gerade zurück, laß uns lieber auflegen.
Ich verbrachte den Rest der Nacht damit, mich im Bett herumzuwälzen.
13
Am Samstag zog ich meine Badehose an und begab mich zum Swimmingpool. Die beiden Ehepaare waren bereits da, vier in der Sonne ausgestreckte, mit Bräunungscreme eingeschmierte Eidechsen. Einer der Männer trug eine dieser Sonnenbrillen, die das ganze Gesicht bedecken, und schien herausfordern zu wollen, daß man sagte, hey Alter, ich hab’s kapiert, du hast eine echte Sonnenbrille.
Fúlvia ließ auf sich warten. Schwarzer Badeanzug, Hut, ihr Anblick gefiel mir. Ronald zog eine richtige Show ab, sprang in den Pool, und zack, zack, zack schwamm er über eine halbe Stunde lang, Kraul, Rücken, Schmetterling. Moisés, mein Bruder, war ein viel besserer Schwimmer als er gewesen. Komisch, ich konnte mich nie an Moisés bei einer Unterhaltung, beim Schwimmen oder bei etwas erinnern, das er gerne tat, ich mußte bloß immer daran denken, wie er im Krankenhaus gestorben war, kahlköpfig von der Chemotherapie und vor Schmerzen gekrümmt. Einmal, als er schon Morphium bekam, sagte er mir, daß er immer davon träume, er wäre beim Schwimmen. Wenn du im Ozean schwimmst, sagte er, dann bist du ganz alleine auf der Welt, es ist die Erfüllung, du und die unermeßliche Weite des Wassers, du spürst keine Müdigkeit, du fühlst nur, daß du ein Teil davon bist, ein Teil des Universums, du fühlst, daß alles harmonisch ist, daß alles so sein soll.
Die Erinnerung an meinen Bruder machte mich traurig. Ich sprang in den Pool, ließ mich treiben und schaute in den Himmel.
Den Rest des Tages verbrachte ich im Zimmer. Gegen fünf begann ich nervös zu werden, nachdem ich die Jararaca und die Kröte im Kofferraum
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