Wer mit Hunden schläft - Roman
in die Türkei gefahren. In einem durch natürlich. Darum sind Tausende von ihnen vor lauter Müdigkeit auf der steirischen Gastarbeiterroute tot liegen geblieben. Der Leitenbauer war fuchsteufelswild, wie er die Schlagzeilen gelesen hat. Weil nach dem Tod der Mutter auch bei ihm ein jugoslawischer Gastarbeiter auf dem Hof gearbeitet hat, wie sie mir erzählt haben. Du wirst lachen, Kreisky, sag ich zu ihm, also hat doch noch ein Neger auf dem Leitenbauerhof gearbeitet. Zwar kein kohleteufelschwarzer, sondern ein europäischer, aber immerhin. Auf jeden Fall habe ich es ihm vergönnt, wirklich wahr, Kreisky. Warum auch nicht, oder?«
Der Zug hatte Mürzzuschlag verlassen und war an der Station Semmering vorbeigefahren. Im Schneckentempo, wie man so schön sagt. Durch das Fenster hat der Norbert die Leute gesehen, die sich vor dem Drehkreuz zum Sessellift anstellten, im eiskalten Wind, der dort immer weht. Hat sich an die eigenen Skitage erinnert, die im Winter regelmäßige Pflichttermine waren. Jeder Steirer muss Ski fahren lernen!, hat der Leitenbauer gesagt, als der erste Schnee am Mugler liegen geblieben ist. Ein Steirer, der nicht Ski fahren kann, ist eine Schande, hat er gesagt. Natürlich gab es am Mugler nicht so einen schönen Lift wie zum Beispiel am Semmering oder am Hirschenkogel. Dort gab es gar keinen Lift, geschweige denn eine präparierte Piste, auf der der Norbert vielleicht sogar gerne hinuntergefahren wäre, wenn er eine ordentliche Ausrüstung gehabt hätte. Aber davon wollten der Leitenbauer und besonders die Leitenbauerin überhaupt nichts hören. Weil wenn es ums Geld ausgeben ging, war die Leitenbauerin auf beiden Ohren taub. DA KRIEGST DU EHER VON EINEM TOTEN EINEN SCHAS HERAUS ALS AUS DER LEITENBAUERIN EINEN SCHILLING , hat die Mutter immer gesagt. Glaubst du, wir haben eine teure Ausrüstung gehabt?, hat die Leitenbauerin gesagt. Auf Holzbrettern sind wir gefahren seinerzeit und konnten trotzdem besser fahren als die mit der teuren Ausrüstung! Mit den billigen Skiern lernst du das Fahren viel besser!, hat sie gesagt. Dabei standen in der Garage immer die neuesten Modelle der teuren Skimarken. Standen dort und verstaubten, weil die Skier, die den Leitenbauerbuben gehörten, nie benutzt wurden. Weil die Leitenbauerbuben, wie gesagt, viel zu fett und ungelenk waren für jede sportliche Betätigung. Sie nur das Jagen gut beherrschten, weil sie da auf ihrem Hochsitz gemütlich herumsaßen und von oben die Tiere ohne jede körperliche Anstrengung erschießen konnten. Dabei sind sie immer noch fetter geworden, weil sie während des Wartens natürlich die gallige Jause der Leitenbauerin mit BUTZ UND STINGL , wie die Mutter immer gesagt hat, aufgefressen haben und diese auch noch mit dem Leitenbauer seinem Zwetschgernen hinuntergespült haben, die Rauschkinder, den ihnen der alte Jäger Leitner als mutmaßlicher Jagdführer gegeben hat, als Zielwasser quasi. Also musste der Norbert das Skifahren mit uralten Skiern und in seinem normalen Straßengewand lernen, obwohl er überhaupt nicht wollte. Bereits nach dem ersten Sturz war er bis auf die Haut nass. Gestürzt ist er nicht nur wegen der uralten Ski, die keine Kanten mehr hatten, sondern weil der Norbert auf die Muglerleiten selbst hinaufstaffeln musste und deshalb schon komplett erschöpft war, bevor er überhaupt oben angekommen ist. Fuhr mit schlotternden Knien weg und blieb bereits nach den ersten paar Schwüngen im Tiefschnee stecken, weil die Muglerleiten nicht präpariert war natürlich. ES IST NOCH KEIN MEISTER und WER ZULETZT LACHT et cetera, hat die Mutter immer zum Norbert gesagt, die unten auf ihn gewartet hat, wo sich die anderen Kinder mit ihren neuen Atomic- und Blizzardskiern über ihn lustig gemacht haben, als er mit roten Schürfwunden im Gesicht ankam. Die von der Mutter selbst gestrickte Haube saß schief auf dem verschwitzten Kopf und aus beiden Nasenlöchern bis zur Oberlippe hing ihm eine Rotzglocke, die er sich in den Ärmel seiner Strickweste wischte. ES GIBT NICHTS GUTES, AUßER MAN TUT ES , hat die Mutter zur Aufmunterung gesagt und ihn wieder hinaufgeschickt auf die Leiten, was er ihr zuliebe jedes Mal getan hat. »Jede Nacht habe ich gebetet für einen Föhneinbruch. Wenn ich brunzen musste, habe ich es nur auf den Schnee gemacht, um ihn zu zerschmelzen vor lauter Verzweiflung. So blöd bist du als Kind, Kreisky, sag ich zu ihm. Du hoffst auf das Unmögliche und bittest ein höheres Wesen um Hilfe, von dem du glaubst,
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