Wer Mit Schuld Beladen Ist
Befragung fortzusetzen.
Schließlich platzte der Junge heraus: »War’s das? War das alles?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Russ. »Gibt es noch etwas, das du mir gerne sagen würdest?«
Quinns Augen weiteten sich. Er biss sich auf die Lippe. Er schüttelte den Kopf. Nein.
»Sicher?«
Er nickte.
Russ stand auf. »Dann sind wir fertig. Danke, dass du dich gemeldet hast, um Mrs. Ovitt und Mrs. Rayburn zu erzählen, dass du etwas gesehen hast. Ich weiß, dass dir das nicht leichtgefallen ist. Ich bin dir sehr dankbar.«
Die übrigen Erwachsenen standen mit Russ zusammen auf. Quinn rappelte sich hoch. Im Stehen gaben seine herabhängenden Jeans einen ausgezeichneten Blick auf seine Boxershorts frei. Die Direktorin deutete darauf, und er zerrte den Bund nach oben. Ein vorübergehender Zustand, vermutete Clare.
»Quinn, du kannst am Rest der siebten Stunde teilnehmen«, sagte Mrs. Rayburn. »Ich denke, Mrs. Ovitt gibt dir eine Benachrichtigung für deinen Lehrer mit.« Die Vertrauenslehrerin nickte und holte einen blassgelben Zettel von ihrem Schreibtisch. Der Junge nahm ihn entgegen und verstaute ihn in seiner Tasche, wobei er erneut seine Unterwäsche zur Schau stellte. Ehe Mrs. Rayburn eine weitere Gelegenheit fand, ihn auf die Bekleidungsvorschriften aufmerksam zu machen, murmelte er einige Abschiedsworte und verschwand durch die Tür.
»Er ist ein guter Junge«, bemerkte Mrs. Ovitt. »Sobald er sich mit der Tatsache abfindet, dass er ein weißer Kleinstadtjunge und kein schwarzes Gangmitglied in einer Großstadt ist, wird alles gut.«
»Wer ist Aaron MacEntyre?«, fragte Russ. »Ich kenne den Nachnamen, doch hier in der Gegend leben mehrere MacEntyres.«
»Seine Eltern sind Craig und Vicki MacEntyre«, antwortete Mrs. Rayburn. »Sie haben eine Farm im Tal jenseits der Route 100.«
»Hatte Aaron schon mal Schwierigkeiten?« Clare platzte mit der Frage heraus, ehe ihr wieder einfiel, dass sie eigentlich im Hintergrund bleiben wollte. »Ich meine … warum sollten die Traceys ihrem Sohn den Umgang mit ihm verbieten?«
Mrs. Rayburn sah Mrs. Ovitt an. »Soweit ich weiß, war Aaron nie in irgendetwas Fragwürdiges verwickelt. Haben Sie etwas gehört, Suzanne?«
Die Vertrauenslehrerin schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Er ist ziemlich beliebt. Sehr selbstbewusst.«
»Aber er lernt nicht gern«, sagte Mrs. Rayburn. »Er hat Grips, doch sieht er keinen Sinn darin, sich anzustrengen. Vielleicht glauben die Traceys, er sei ein schlechtes Vorbild für Quinn.«
»Außerdem ist Aaron ganz wild darauf, zur Armee zu gehen. Als er vergangenen Monat achtzehn wurde, mussten seine Eltern und ich ihm ausreden, die Schule hinzuschmeißen, um sich freiwillig zu melden.« Mrs. Ovitt und die Direktorin blickten einander in melancholischem Einverständnis an. »Auch nichts, was ihn bei den Traceys sonderlich beliebt machen würde.«
»Ja, nun … dieser Krieg …« Mrs. Rayburn verschränkte die Hände. »Ich kann unseren Eltern keinen Vorwurf machen, wenn sie ihre Kinder nicht zur Rekrutierungsstelle lassen wollen.« Sie sah zu Russ auf. »Ich hoffe, wir konnten Ihnen wenigstens ein bisschen helfen, Chief Van Alstyne.«
Clare betrachtete eines der Poster. Unter dem Bild eines perfekt ausgeleuchteten Schwimmers mitten in einem Delphinzug stand: MIT EINEM ZIEL, AN DAS DU GLAUBEN KANNST, BLEIBT DIR NICHTS UNERREICHBAR. Glückskeks-Philosophie. Sie fragte sich, wie sie in der Realität standhalten würde.
Russ nickte. »Das hoffe ich auch.«
14
W as hältst du von Quinn Tracey?«
Clare hob kurz den Blick von der Straße. »Von ihm als Mensch? Oder von seiner Aussage?«
»Ersteres. Beides.«
Sie konzentrierte sich wieder aufs Fahren. Er betrachtete ihr Profil: markante Nase, spitzes Kinn, Haare, die sich trotz des frühen Nachmittags bereits aus dem Knoten lösten. Seine Gefühle ihr gegenüber waren zu kompliziert und zu schmerzlich, um darüber nachzudenken, und so war er jämmerlich dankbar, dass es gemeinsam ein Rätsel zu lösen galt, auf das er sich zurückziehen konnte. Eines der ersten Dinge, die ihn an ihr fasziniert hatten, war ihr Verstand, ihre ungezwungenen Fragen, ihre durchdachten Antworten.
»Ich glaube, er verschweigt etwas.«
»Du meinst, etwas Schlimmeres als das Abhängen mit einem unerwünschten Freund?«
»Hm.«
»Gut. Ich hatte dasselbe Gefühl, aber ich wusste nicht, ob ich meinen Instinkten trauen kann.«
»Was wirst du unternehmen?«
»Ich denke, es wäre ganz gut, ihn zu Hause
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