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Wer Mit Schuld Beladen Ist

Wer Mit Schuld Beladen Ist

Titel: Wer Mit Schuld Beladen Ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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inakzeptabel war. »Ich rufe an, falls es später wird«, verbesserte er sich.
    Sie nickte und begnügte sich mit einer schnellen, heftigen Umarmung, eine für ihn und eine für Clare. Margy sagte nichts mehr, doch der Blick, mit dem sie Clare bedachte, als diese Russ zur Küche hinaus folgte, sprach Bände. Pass auf meinen Sohn auf.
    Auf der Fahrt zur Stadtmitte sagte er kein einziges Wort. Was sie nicht störte. Sie wusste nicht, was er von ihr brauchte, und sie wusste todsicher nicht, was sie ihm geben sollte.
    Sie hielt an der Bushaltestelle vor dem Eingang, um ihn aussteigen zu lassen. »Ich warte auf dem Parkplatz auf dich«, sagte sie.
    »Möchtest du mitkommen?«
    »Was?«
    »Es wird vermutlich nicht lange dauern.«
    »Ich halte das für unangebracht. Ich habe mit dieser Ermittlung nichts zu tun.«
    Er schnaubte. »Das hat dich doch noch nie zurückgehalten.«
    »Russ. Hast du die Redewendung ›die Leute reden‹ schon mal gehört? Wir haben uns geeinigt …«
    »Bitte.« Er legte seine Hand auf ihren Arm. »Ich habe das Gefühl … ich könnte ein wenig Unterstützung brauchen.«
    Er klang verlegen. Er würde niemals ein Mann sein, dem es nichts ausmachte, um Hilfe zu bitten. Es würde nicht helfen, wenn sie ihm sagte, dass seine Reaktion bei Menschen, die gerade einen Verlust erlitten hatten, ganz normal war. Angesichts eines Verlusts war es fast unmöglich, sich nicht an nahestehende Personen zu klammern. Ein guter Pastor …
    Ach, wen wollte sie auf den Arm nehmen. Ihre Gefühle in dieser ganzen Angelegenheit waren absolut nicht pastoral. Sie war einfach zu blöd, um nein zu sagen.
    Sie öffnete die Tür und stieg aus. Der Himmel über ihnen war von diesem satten winterlichen Blau, das stets so wirkte, als würde es bis an den Rand des Weltalls reichen, doch im Norden über den Bergen konnte sie die Vorläufer einer massiven grauen Wolkenbank erkennen. Der nächste Sturm.
    Die Highschool war langgestreckt und flach, ein hässlicher Siebziger-Jahre-Bau aus unnatürlich gleichmäßigen Backsteinen und orangefarbenen Platten. Er war ans Ende der alten Schule angesetzt worden, eines schmalen, zweistöckigen Gebäudes mit hohen Fenstern und einer unzweifelhaft noch höheren Heizkostenrechnung.
    »Dort sitzt jetzt die Verwaltung«, erklärte Russ, während er auf die alte Schule zeigte. Als sie über den Parkplatz gingen, konnte Clare erkennen, dass die beiden Schulen einander nicht wirklich berührten, sondern mit einem gepflasterten, überdachten Fußweg verbunden waren.
    »Meine Klasse war eine der Letzten, die an der alten Schule ihren Abschluss gemacht haben.« Russ zog eine der breiten Eingangstüren für sie auf, und Clare trat unter den Initialen M.K.H.S. hindurch, die in Fraktur in den Türsturz gemeißelt waren.
    »Hübsch«, bemerkte sie, und sie konnte erkennen, dass sie es wirklich gewesen war, trotz der Aktenschränke und leeren Stühle, die die Halle säumten.
    »Die Klassenzimmer waren toll«, sagte er. »Obwohl die Turnhalle im Keller war. Keine Fenster, und wenn man zu einem Korbleger hochsprang, lief man Gefahr, sich an der Decke den Schädel einzuschlagen. Hier ist das Büro der Direktorin.«
    Genau genommen war es das nicht – es war das Büro der Sekretärin und der Wartebereich, ein ehemaliges Klassenzimmer, an einer der Wände hing noch eine schwarze Tafel. Motti, Zitate und Aphorismen waren in verschiedenfarbigen Kreiden darauf gekritzelt. Clare fragte sich, ob die Sprüche von Lehrern oder Schülern stammten.
    Russ konzentrierte sich sofort auf die pausbäckige Frau hinter dem Tresen. »Ich bin …«, begann er, doch sie ließ ihn nicht ausreden und sagte: »Russ Van Alstyne!«, ehe er noch weitersprechen konnte. »Ich bin Barb Berube«, fügte sie atemlos und mit leuchtenden Augen hinzu. »Na ja, so heiße ich jetzt. Früher in der Highschool war ich Barbara McDonald.«
    »Barbara – Barbie McDonald?«
    Sie nickte, und ihre widerspenstigen roten Locken flogen dabei in alle Richtungen.
    »Ich hätte dich nicht erkannt. Du siehst großartig aus.«
    »Na ja, ich glätte meine Haare nicht mehr. Das hilft.« Das Lächeln, das auf ihrem breiten Gesicht erstrahlt war, schwand. »Das mit deiner Frau tut mir unendlich leid«, sagte sie in völlig verändertem Tonfall. »Falls ich etwas tun kann, oder wenn du jemanden zum Reden brauchst, ruf mich ruhig an. Ich weiß, wie es ist, wenn man seinen Partner verliert.«
    Russ erstarrte, während die Sekretärin sprach; er stand stocksteif da,

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