Wer Mit Schuld Beladen Ist
Lächeln in ihren Mundwinkeln zuckte. »Honi soit qui mal y pense.«
»Hä?« Er richtete sich auf.
»Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.« Der Gedanke an das, was er an diesem Morgen erfahren hatte, wischte ihr die aufkommende gute Laune aus dem Gesicht. »Kein schlechtes Motto. Du solltest es im Kopf behalten, Russ. Die Menschen wissen nicht immer, was sie zu wissen glauben.«
Lois war schon im großen Büro und zog sich soeben den Mantel aus. »Guter Gott, haben Sie die Wolken gesehen?« Die Sekretärin verfolgte den Wetterbericht mit geradezu religiöser Hingabe. »Auf uns kommt ein richtiges Unwetter zu. Der nationale Wetterbericht sagt vorher, dass es am Nachmittag einsetzen wird. Fünf bis zehn Zentimeter.«
»Nicht schlecht.« Der beste Beweis, wie sehr sich Clare bereits in den Adirondacks eingelebt hatte. Noch vor zwei Jahren hätte eine Vorhersage von fünf bis zehn Zentimetern sie paralysiert.
»Das ist nur der Anfang.« Lois ließ sich auf ihren Stuhl sinken und schaltete einen Nachrichtensender ein, der alle zwanzig Minuten detaillierte Wettervorhersagen brachte.
Clare überraschte sich selbst. »Ich mache meine Hausbesuche lieber heute Vormittag.«
»Hausbesuche! Aber heute ist doch Mittwoch.«
»Und?«
»Mittwochvormittags arbeiten Sie immer an Ihrer Predigt.«
»Tue ich das?«
Lois bedachte sie mit einem »Der Begriff hoffnungslos wurde für dich erfunden«- Blick, und sagte: »Ja, Clare, das tun Sie.«
Ein Grund. Sie brauchte einen anderen Grund als: Ich räume mein Büro, damit Russ Van Alstyne meinen PC benutzen kann, während er sich vor der State Police versteckt. »Nun … Ich möchte dem Wetter zuvorkommen.« Angesichts der Vernunft dieses Arguments lächelte sie stolz. »Falls wir einen Schneesturm kriegen, werde ich es in den nächsten Tagen nicht schaffen. Besser, ich fahre jetzt.«
»Was ist mit Ihrer Predigt?«
»Ach, ich werde improvisieren.«
»Sie wollen improvisieren? «
Clare grinste. »Nur ein Witz. Ich werde …« Der Klang von Schritten im Korridor ließ sie herumfahren.
Elizabeth de Groot trat ein, gekleidet in einen makellos geschnittenen, roten Wollmantel mit Pelzbesatz an Kragen und Manschetten. »Guten Morgen, Lois«, grüßte sie. »Guten Morgen, Reverend Fergusson.« Ihr wacher, hilfsbereiter Blick konnte nicht ganz über die am gestrigen Abend entstandene Skepsis hinwegtäuschen.
Clare starrte sie an, als ihr die Idee wie die letzte reife Birne des Jahres in den Schoß fiel. »Ich werde Elizabeth bitten.«
»Mich um was bitten?«
»Diesen Sonntag die Predigt zu halten.«
Die Diakonin runzelte die Stirn. »Ich? Diesen Sonntag? Warum?«
»Wüssten Sie etwas Besseres, um sich der Gemeinde vorzustellen?«
»Nun …«
»Sie müssen nicht über die Lesung predigen, wenn Sie das nicht wollen. Reden Sie über etwas Persönliches, damit wir Sie kennenlernen.«
»Das ist eine Idee.« Lois’ Ton war sorgsam neutral.
»Glauben Sie?« Elizabeths Gesicht leuchtete auf. »Okay, ich mache es.« Sie schälte sich aus dem Mantel. »Lois, haben wir noch einen PC, den ich benutzen kann?« Sie wandte sich an Clare. »Ich hatte gestern keine Gelegenheit, Ihnen davon zu erzählen. Lois bringt mich im Kopierraum unter.«
Der Kopierraum war eine kleine Nische im Hauptbüro, die ursprünglich die sperrigen Akten und den Vervielfältigungsapparat beherbergen sollte, die zu der Zeit, als das Gemeindehaus modernisiert worden war, zur modernen Büroausstattung gehörten. Die Aktenschränke waren schon vor langer Zeit durch Lois’ Festplatten ersetzt worden und der stinkende Vervielfältigungsapparat durch ein Tischgerät von Canon.
»Ich stelle den Kopierer hier herein«, erklärte Lois Clare. »Es ist zwar nur wenig Platz, aber einen Schreibtisch und ein paar Stühle bringen wir unter.« Sie betrachtete de Groot mit zusammengekniffenen Augen. »Sie werden einen PC brauchen.« Ihre langen schlanken Finger gaben Zahlen ein. »Vielleicht kann ich jemandem eine Spende entlocken. Warum benutzen Sie in der Zwischenzeit nicht den von Clare? Sie macht Hausbesuche.«
»Nein!«
Lois und Elizabeth starrten sie an. Clare hatte eine Hand ausgestreckt, als wollte sie die neue Diakonin mit Gewalt festhalten. Sie ließ den Arm sinken. »Ich meine, ich möchte, dass Elizabeth mich bei meinen Hausbesuchen begleitet. Das gibt uns Gelegenheit, uns zu unterhalten.«
»Wirklich?« Elizabeth strahlte. »Danke. Das würde ich zu gern.«
O Gott, sie war so eine Heuchlerin. Sie würde direkt
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