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Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps

Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps

Titel: Wer mordet schon in Franken? - 11 Krimis und 125 Freizeittipps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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nachvollziehen. Rein rational war die Welt ziemlich simpel. Alles eine Abfolge von Ursache und Wirkung und Entscheidungen, die man mit der Vernunft traf. Sobald die Theorie von subversiven Größen wie Liebe oder Einsamkeit angereichert wurde, geriet der Globus ins Trudeln: Alles, was eben noch logisch erschienen war, entwickelte sich zu einem Sammelsurium an Komplikationen. An zwei, drei Stellen entstand Chaos, und damit war die gottgewollte Ordnung, die er in den Heiligenfiguren auf der Alten Mainbrücke  49  so ideal erkannte, ein für alle Mal dahin. Besonders der gute alte Fridericus hatte es ihm angetan. Seit Helge wieder in Würzburg wohnte, schlenderte er oft über die Brücke und lehnte sich neben Fridericus über die Brüstung, um in den Main zu schauen. Er hatte ja Zeit. Letztlich hatte er seit einigen Jahren zu viel Zeit – aber auch daran gewöhnte man sich.
    Helge blinzelte in die Sonne. Der Flieder duftete. Die Kastanien zeigten stolz ihre Blütenkerzen vor. Gerlinde hatte recht. Sein erstes Chaos war die Entscheidung, Medizin zu studieren. Wegen des Numerus clausus erwartete er den Studienplatz, indem er sich zunächst für Biologie einschrieb. Die ersten beiden Semester legte er sich eifrig ins Zeug, voller Stolz, an einer Universität zu studieren, wo Leute wie Röntgen und Virchow gelehrt hatten. Er fuhr früh mit dem Bus auf den Campus hoch über der Stadt, lernte und kehrte abends spät wieder zurück in seine Studentenbude. Er hatte sich in Grombühl eingemietet, einem Viertel, in dem es wenig Zerstreuung gab. Genauer gesagt: gar keine.

    *

    Da passierte es dann. Das zweite Chaos. Weil der Mensch eben nicht immer nur studieren kann, sich nicht immer nur mit Büchern in einer Bibliothek oder einem winzigen Zimmer einschließen kann. Zumal, wenn das Zimmer von einer bärtigen Vermieterin 24 Stunden und sieben Tage die Woche überwacht wird.
    Deswegen ließ er sich im zweiten Semester endlich breitschlagen, mit den Jungs rauszufahren. Seine Kommilitonen hielten ihn bereits für einen vom anderen Ufer. Weil er sich ihnen auf ihren Touren nie anschloss, nichts kannte in Würzburg. Weder die einschlägigen Wirtschaften in der Stadt noch die in den Winzerstädtchen entlang des Mains. Von Frauen ganz zu schweigen. An einem Frühlingstag wie heute, als der Fliederduft betörend über der warmen Stadt lag, sagte er plötzlich ›Ja‹, als sie ihn fragten. Ja, er würde gern mitkommen.
    Dieter fuhr den Mercedes. Die Jungs machten Witze über die vielen Schlösser und Kapellen, an denen sie vorbeikamen. Zu viel Kirche hier, meinten sie, wegen der anno dazumal einflussreichen Fürstbischöfe, aber da hätte sich ja bis heute nichts geändert, auch wenn sie nur noch Bischöfe wären, ohne Fürst. Helge hörte nur mit halbem Ohr zu. Die Fenster des Wagens standen offen. In gemächlichen Schleifen zog sich der Fluss durch die Ebene. Seit Monaten war Helge nicht aus der Stadt rausgekommen, und damals, vor 14 Jahren, war der Frühling spät gekommen. War lange unter Schneeharsch und Graupelschauern verborgen gewesen. Deswegen, so dachte Helge, hatte sich dieser unerwartete Lebenshunger eingestellt: Er verspürte plötzlich so eine unbändige Lust, zu leben, zu atmen, sich vollzusaugen mit dem Fliederduft und den Kastanien und den Schlössern und Kapellen.
    Und der Scheurebe.
    Sie hielten in Dettelbach  50 . Er erinnerte sich noch lebhaft an die kopfsteingepflasterten Gassen, durch die schläfrige Katzen streiften, an die Stadtmauer, die Gärten, in denen Fliederbüsche blühten und Jasmin. An den schweren Blütenduft, der ihn schon betäubte, bevor er das erste Glas Wein überhaupt angerührt hatte. Die alte Blunawerbung auf dem verwitterten Blechschild fiel ihm ein. Die mit Weinranken bewachsene Terrasse des Wirtshauses. Obwohl er den Ort seitdem gemieden hatte wie der Teufel das Weihwasser.
    Selbstverständlich verharrte das Wirtshaus noch lebhaft in seinem Gedächtnis.
    Sogar Gesa.
    Besonders Gesa. Während er seinen zermürbten Rücken an den Steinsockel des Alten Kranens lehnte und die Augen schloss, während er sich bemühte, die Verkehrsgeräusche auszublenden, die zu ihm herüberwehten, stiegen die Bilder wieder in ihm auf. Gesa mit dem kastanienbraunen Haar, die Scheurebe, die golden im Römer funkelte, die lang vermisste Frühlingssonne auf

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