Wer morgens lacht
die Korsetts. Diese Sachen hingen immer an der Wäscheleine, neben unseren Unterhosen und Hemden, die dagegen besonders klein aussahen, wie Puppenkleider. Marie und ich hatten unsere Omi nie in Unterwäsche gesehen, aber wir hatten uns früher oft gefragt, wie sie diese unförmigen Wäschestücke unter ihre Kleidung brachte, denn so dick war sie nicht, ein bisschen stämmig, das schon, aber, so meinten wir, in diese Schlüpfer und Halterlich hätten locker drei oder vier Omis gepasst. Vielleicht gab es ja ein besonderes Patent, die Unterwäsche zusammenzulegen, bevor man das Kleid darüberzog, aber wie? Der überflüssige Stoff wird zusammengeklappt, bevor man das nächste Kleidungsstück anzieht, hatte Marie gesagt, sie hatte einen Schlüpfer von der Leine genommen und mir demonstriert, wie sie es sich vorstellte.
Gerührt erinnere ich mich auch an die große, kupferne Wärmflasche, die wir jeden Abend, mit heißem Wasser gefüllt und mit einem Handtuch umwickelt, in ihr Bett legen mussten, und jetzt frage ich mich, wo diese Wärmflasche, die Omi noch aus Vierzighuben mitgebracht hatte, eigentlich geblieben ist, hat unsere Mutter sie nach Omis Tod irgendwo aufgehoben, vielleicht im Schuppen hinter dem Haus, in dem sich auch die Hasenställe befinden, oder hat sie sie gar in die Mülltonne geworfen? Das wäre jammerschade, ich hätte sie jetzt gern gehabt. Wenn ich das nächste Mal nach Hause komme, werde ich meine Mutter nach der Wärmflasche fragen. In ihren letzten Monaten hat sie Omi allerdings nicht mehr viel genützt, da war alles wehtig . Wenn man sie morgens fragte, wie hast du geschlafen, seufzte sie tief und sagte, wehtig, immer wehtig. Wehtig war das Wort, das wir damals ständig hörten. Wie geht es dir, Omi? Wehtig . Was machen deine Hände heute, deine Beine? Wehtig.
Das Rheuma wurde schlimmer, ihre Knie schwollen an, morgens kam sie ohne Hilfe nicht mehr die Treppe herunter und abends nicht nach oben und schließlich blieb sie einfach in ihrem Zimmer. Ein paar Wochen lang trugen wir ihr alles hinauf, jede einzelne Scheibe Brot, jede Tasse Kaffee, das Frühstück, das Mittagessen, das Abendessen, bis unsere Eltern beschlossen, es sei jetzt an der Zeit, wir müssten die Zimmer tauschen, Marie und ich sollten hinaufziehen in Omis Zimmer und sie nach unten in unser Zimmer, neben dem Wohnzimmer, so würde ihr das Treppensteigen erspart bleiben, und außerdem war es im unteren Stockwerk auch wärmer als im oberen, in dem nur kleine Ölöfen standen, während unten der große Herd fast allein die Küche und die beiden Räume heizte, man musste nur die Türen offen lassen. Omi wehrte sich erst, das ist mein Zimmer, ich habe immer in diesem Zimmer gewohnt, sagte sie, lasst mich doch in Ruhe hier oben sterben.
Aber Mutter, wer redet denn vom Sterben, fuhr unsere Mutter sie gereizt an, ich rede vom Leben, unten kannst du wenigstens wieder mit uns zusammen essen, und fernsehen kannst du auch. Sei doch vernünftig, Mutter, du wirst sehen, es ist dann alles viel einfacher.
Unserer Mutter war anzuhören, dass sie nur mit Mühe ihre Ungeduld unterdrückte, kein Wunder, seit es Omi immer schlechter ging, musste sie abends, wenn sie von der Arbeit kam, auch noch kochen und sich um den Haushalt kümmern. Nach ein paar Tagen wurde Omis Widerstand schwächer und am Schluss fügte sie sich, schließlich wollte sie uns nicht zur Last fallen. Otto Stegmüller, der Muglmann, kam am Wochenende herüber und half unserem Vater, Omis Möbel herunter- und unsere hinaufzuschleppen, während unsere Mutter die Wäsche nach unten trug, Omis Vorhänge unten aufhängte, das Weihwasserfass herunterbrachte und neben der Tür befestigte und am Schluss Omis Muttergottesbild so aufhängte, dass sie es auch sehen konnte, wenn sie im Bett lag.
Für einige Zeit wurde es wirklich besser. Das einzige Problem war, dass Omi nicht mehr hinaufgehen konnte, zur Toilette. Unsere Mutter besorgte einen gebrauchten Stuhl mit Klopfanne, sie hatte eine Annonce im Stadtanzeiger gefunden, aber das Ding war so groß, dass es nicht in unser Auto passte, Otto Stegmüller musste es mit seinem Hänger abholen. Da stand das Ungetüm nun schwer und klobig in Omis Zimmer, in der Ecke, in der früher mein Bett gestanden hatte, und anfangs musste ich immer wieder hinschauen, wenn ich bei Omi war, aber bald hatte ich mich daran gewöhnt. Wir, Marie und ich, hatten den Auftrag, die Klopfanne zu leeren, und das taten wir auch, besser gesagt, ich tat es, denn damals
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