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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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wissen, wehtig, wehtig, immer nur wehtig . Er aß mit den Fingern, nicht nur die Pommes, sondern auch das Fleisch, und ich dachte, mag ja sein, dass ihm das Spaß macht, es gibt Leute, die gern mit den Fingern essen, aber es ist auch möglich, dass er sich scheut, das Besteck anzufassen, weil es aus Metall ist. Wie oft hatte Omi mich gerufen, um für sie eine Tür aufzumachen, weil es ihr unerträgliche Schmerzen bereitete, mit ihren Rheumahänden die metallene Klinke anzufassen, besonders im Winter. Ich sah sie vor mir, ihre Hände, meinte zu spüren, wie sie mir über die Haare strich, ach Kind, es ist nicht schön, alt zu werden, und auf einmal überfiel mich die Sehnsucht wieder so stark, dass ich keinen Bissen mehr runterbrachte, ich schob den Teller mit den Pommes von mir.
    Was hast du, fragte Ricki, schmeckt es dir nicht? Ich machte sie mit einer unauffälligen Handbewegung auf den Nachbartisch aufmerksam. Als der Mann aufstand und ein bisschen steif und unbeholfen und staksig hinausging, wusste ich, dass auch seine Knie geschwollen waren. Eine Frau hielt ihm die Tür auf und schaute ihm kopfschüttelnd hinterher.
    Ricki hatte ihm ebenfalls nachgeschaut und sagte nun mitleidig, der arme Kerl, er hat Rheuma.
    Ja, sagte ich, er hat Rheuma, ich kenne das, meine Großmutter hatte auch Rheuma.
    Wir gingen am Schluss nicht ins Kino, wie wir es vorgehabt hatten, sondern in ein Café, wir saßen an einem ruhigen Tisch in der Ecke, und ich erzählte ihr von Omi, wie es sie mit der ganzen Familie von Vierzighuben nach München verschlagen hatte. Aber in Wirklichkeit hat sie, sagte ich, immer nur dort gelebt, ihre Seele, wenn du so willst, hatte den Schönhengstgau nie verlassen. Ich erzählte ihr von Omis Kittelschürzen, ihrem Kopftuch und von dem Schlaraffenland, mit dem sie meine Träume genährt hatte. Es war, als wäre in meinem Inneren etwas aufgeplatzt, was seit Omis Tod dort verschnürt gewesen war, ich konnte gar nicht mehr aufhören zu erzählen, von ihrem Garten, von dem Salat, den sie blattweise von den jungen Pflanzen zupfte, um ihnen nicht die Möglichkeit zum Weiterwachsen zu nehmen, ich erzählte ihr, wie sie mir beigebracht hatte, Pflanzen aus Samen zu ziehen, egal ob es nun um Petersilie oder Blumen wie Tagetes ging, die sie Samtblumen nannte, ich erzählte ihr, wie wir Himbeeren und Brombeeren und Pilze gesammelt hatten und wie wir es genossen, im Herbst mit bloßen Händen Kartoffeln aus der Erde zu wühlen. Ich hatte immer das Gefühl, einen Goldschatz auszugraben, wenn ich aus dem dunklen Boden die gelben Kugeln herausholte und in ein Sieb legte, mit einem Gefühl, das ich heute nur als Andacht bezeichnen kann, so lange es möglich war, haben wir für jede einzelne Mahlzeit die Kartoffeln einzeln ausgegraben, weil sie wusste, wie glücklich mich das machte.
    Es hört sich an, als wäre es bei deiner Omi immer nur um Essen gegangen, sagte Ricki.
    Nein, widersprach ich, nicht nur, unsere Omi war manchmal liebevoll und dann wieder stur, sie hat selten gelacht und öfter geschimpft. Aber du hast recht, sie war vor allem die Glucke, die ihre Küken füttert und sie bei Gefahr unter die Flügel nimmt. Jedenfalls für mich war sie das, ich habe sie angebetet. Frag mich nicht, warum, es war einfach so.
    Erst als ich im Bett lag, fiel mir auf, dass ich sehr lange von Omi erzählt hatte, nur von ihr, und Marie hatte ich mit keinem Wort erwähnt. Dabei waren wir doch immer zusammen gewesen, Omi, Marie und ich. Wie hatte ich es geschafft, sie auszublenden, ohne dass es mir überhaupt aufgefallen war? Ich hatte sogar von Omis Tod erzählt, ohne darüber zu sprechen, dass ihr Tod auch für Marie hart gewesen sein muss, ich habe nur Omi und mich gesehen, und wo Marie hätte stehen müssen, war ein weißer Fleck geblieben.
    Omi war lange krank gewesen, es war das Rheuma, an dem sie schon seit vielen Jahren litt, ich hatte sie immer nur mit verkrüppelten Händen gesehen. In ihren letzten Jahren hatten ihr die Schübe in immer kürzeren Abständen und in immer heftigerer Form zugesetzt, sie konnte kaum noch arbeiten, und hätte ich ihr nicht geholfen, wäre der Garten wohl schon damals vollkommen verwildert. Besonders schwer fiel es ihr, die Wäsche zum Trocknen aufzuhängen, sie kam mit ihren knotigen Fingern nicht mehr mit den Klammern zurecht, ihre Feinmotorik hatte nachgelassen, da musste ich ihr helfen. Ich weiß noch, wie ich ihre Schlüpfer aufhängte, die großen Büstenhalter, die sie Halterlich nannte,

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