Wer nach den Sternen greift
genügt.«
»Ach ja, Amerikaner sind ja für ihre Formlosigkeit berühmt.« Er griff nach einem Croissant. »Vermutlich könnte ich Sie nicht dazu überreden, heute Abend ohne Ihre Kinder zu essen? Sosehr ich sie mag, aber wenn wir das späte Abendessen nehmen, könnten wir anschließend tanzen.«
»Sosehr ich meine Kinder liebe, ich nehme Ihre Einladung gerne an. Ich würde schrecklich gerne tanzen.«
Er legte den Kopf schräg. »Ich will ja nicht indiskret sein, aber ich meine, aus Ihren Worten entnehmen zu können, dass Sie nicht oft mit Ihrem Mann tanzen?«
»Monsieur Renoir, ich kann mich noch nicht einmal mehr daran erinnern, wann mein Mann zuletzt mit mir getanzt hat.«
»Philippe«, sagte er. »Franzosen können auch formlos sein.«
37
A lex’ Abendkleider waren noch in ihren Koffern verpackt, deshalb trug sie ein mauvefarbenes Seidenkleid, das schlicht geschnitten war, sich jedoch an sie schmiegte wie eine zweite Haut.
Sie lächelte bei dem Gedanken an das Abendessen mit einem Fremden. Ein Franzose. Sie war neunundzwanzig Jahre alt und hatte seit ihrer Hochzeit nie mehr mit einem Mann allein diniert. Natürlich hatte sie geflirtet, das ließ sich während der Saison in London gar nicht vermeiden, aber das war harmlos, ja sogar langweilig gewesen. Es war lediglich ein Signal dafür gewesen, dass sie als Frau immer noch attraktiv war, auch wenn sich ihr Mann einer anderen zugewandt hatte.
Ein paar Männer hatten ihr offene Avancen gemacht, aber sie war noch nicht einmal in Versuchung geraten. Nur manchmal dachte sie, wie schön es wäre, wieder geküsst zu werden, eng mit einem Mann zu tanzen, seinen Körper an ihrem zu spüren.
Das letzte Mal hatte sie diese Leidenschaft mit siebzehn Jahren gespürt, in einer Scheune in Westbury, und das war jetzt zwölf lange Jahre her. Vielleicht träumten ja auch nur die Dichter von wahrer Leidenschaft. Vielleicht verliebten sich die Menschen in die Idee der Liebe, in die Idee, dass jemand sie begehrte. Liebe war eben nur ein Mythos.
Sie blickte in den Spiegel und beschloss, heute Abend außer Perlenohrringen keinen Schmuck zu tragen. Eine harmlose Affäre würde ihr sicher guttun. Sie würde endlich wieder das Gefühl haben, begehrt zu werden, und sie sah diesem Franzosen an, dass er sie begehrte. Hieß es nicht, dass die Franzosen gute Liebhaber waren? Es wäre schön, zur Abwechslung mal von jemandem geliebt zu werden, der Freude an ihrem Körper hatte und die Freuden zum Leben erweckte, die ihr so lange entgangen waren.
So! Zufrieden musterte sie ihr Spiegelbild. Oliver blickte meistens durch sie hindurch, aber sie wusste, dass sie vielen Männern begehrenswert erschien, und heute Abend sollte sie der Franzose begehren. Sie wollte eine Schiffsromanze erleben, die nach zwei Nächten vorbei war. Wie weit sie gehen würde, darüber dachte sie jetzt nicht nach. Das würde man sehen. Jetzt wollte sie nur mit ihm tanzen, seine Arme um sich spüren und den Ausdruck in seinen Augen sehen, wenn er sie anschaute.
Lachend schüttelte sie den Kopf. Wie albern! Clarissa las doch diese gewissen Liebesromane, nicht sie!
Sie hatte gehofft, einen großen Auftritt zu haben, aber er war noch nicht da. Ein Kellner geleitete sie zum reservierten Tisch, wo bereits eine Flasche Champagner kalt gestellt war.
Es dauerte noch beinahe fünf Minuten, bis Philippe erschien, und jetzt war sie es, die seinen Auftritt mit anerkennenden Blicken begleitete. Er trug ein weißes Dinnerjackett und sah aus, als habe er bereits einige Wochen an einem tropischen Strand verbracht. Ihr fielen die Krähenfüße um seine Augen auf, die vermutlich von der Sonne in Südfrankreich stammten. Er hatte schöne Hände wie ein Pianist oder Chirurg, dachte sie.
Als er an den Tisch trat und sich entschuldigte, weil sie auf ihn hatte warten müssen, zogen seine Augen sie in ihren Bann. Es kam ihr so vor, als könne er direkt in sie hineinschauen, bis auf den Grund ihrer Seele. Und offensichtlich gefiel ihm, was er sah, denn er blickte sie unverwandt an, als er sich setzte und der Kellner Champagner einschenkte.
Er hob sein Glas. »Auf die schönste Frau der Welt«, sagte er leise.
»Der Welt?« Sie lächelte.
»In meiner Welt«, erwiderte er, und sie wusste auf einmal, dass er es ernst meinte.
Er hielt sie für schön, und er redete nicht von dem, was sie gerade im Spiegel gesehen hatte.
»Sie kennen mich doch kaum«, sagte sie.
»Nein, nicht annähernd so gut, wie ich gerne möchte.«
Er trank
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