Wer nach den Sternen greift
Empfangsraum in die Halle, wo die Tür offen stand und Reginald bereits die Lakaien anwies, wohin sie das Gepäck bringen sollten. Der Comte und die Comtesse erschienen als Erste.
»Was für ein großartiges Schloss«, schnurrte die Comtesse. »Ich hatte natürlich Fotografien gesehen, aber die Wirklichkeit übertrifft alles.« Sie beugte sich vor und küsste Alex zur Begrüßung auf die Wangen. »Die Fotos bereiten einen ja nicht auf die herrliche Landschaft vor.«
Der Comte zog Alex’ Hand an die Lippen und deutete eine Verbeugung an. »Ihr Gatte hat gemeint, wir müssten uns unbedingt den italienischen Garten anschauen.«
»Ich zeige ihn Ihnen nur zu gerne. Hatten Sie eine gute Überfahrt?«
Und dann stand Philippe vor ihr und zog ihre Hand an die Lippen. Und die Welt um sie herum versank. Sie sah und hörte nichts mehr, sah nur noch Philippes Augen.
Plötzlich merkte sie, dass sie ganz allein dastanden.
»O Philippe«, sagte sie, »ich freue mich so, dich wiederzusehen.«
»Ich habe mich oft gefragt, wie es hier wohl aussieht. Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie du hier lebst und deine Tage verbringst.«
Alex entzog ihm ihre Hände und ging auf den Eingang zu.
»Gibt es etwas Prachtvolleres als einen Junitag?«, sagte Philippe und schaute sich um.
»Ich führe dich später herum.«
»Darauf freue ich mich schon.«
Alex warf ihm einen Blick zu. »Ich hoffe, du verstehst, dass die Situation für mich nicht einfach ist.«
»Natürlich nicht, aber ich freue mich einfach, hier zu sein. Und natürlich auch, die Kinder wiederzusehen.«
»Hugh kann sich nicht mehr so gut an dich erinnern. Fünf Jahre sind für einen Fünfzehnjährigen eine lange Zeit.«
»Mir kommt es gar nicht so lang vor.«
»O Philippe, ich habe so sehr versucht, dich zu vergessen.«
»Hoffentlich ist es dir nicht gelungen.«
»Ich dachte, ich hätte es geschafft, aber als ich dich dann wiedergesehen habe …«
»Ich will dich nicht unglücklich machen.«
Sie schwieg und führte ihn ins Wohnzimmer der Familie, wo Oliver schon für Getränke sorgte. »Was kann ich Ihnen anbieten?«, rief er Philippe zu.
»Im Moment nichts, danke«, erwiderte Philippe. Er trat ans Fenster und blickte hinaus auf den italienischen Garten. Alex musste sich zusammenreißen, damit ihr Blick nicht jeder seiner Bewegungen folgte.
»Morgen können Sie mit einer Kutsche über den Besitz fahren«, sagte Oliver gerade stolz zur Comtesse.
»Wie lange ist das Land schon im Besitz Ihrer Familie?«
»Der erste Herzog hat 1703 mit dem Bau des Schlosses begonnen«, erwiderte Oliver. »Das Land ist ihm vom König geschenkt worden.«
»Ungefähr um die gleiche Zeit sind meine Vorfahren von hier aus nach Amerika aufgebrochen«, warf Alex ein.
»Und haben sie im Bürgerkrieg gekämpft?«, fragte der Comte.
»Das weiß ich leider nicht«, antwortete Alex. »Ich kenne nur meine Großväter, darüber hinaus weiß ich eigentlich wenig.«
»Interessiert es Sie denn nicht zu erfahren, woher Sie kommen?«
»Doch, natürlich. Meine Urgroßeltern müssen auf jeden Fall sehr nette Leute gewesen sein, weil sowohl mein Großvater als auch meine Großmutter ganz außergewöhnliche Menschen sind. Iris sagte, sie habe meine Großeltern kennengelernt. Und Sie auch, nicht wahr?« Sie wandte sich an Philippe.
»Ja, ich habe sie kennengelernt«, erwiderte er.
In diesem Moment betraten die drei Kinder den Raum. Sie hatten sich umgezogen, aber man sah, dass sie gebadet hatten, weil ihre Haare noch nass waren.
»Liebling.« Alex trat zu Hugh. »Erinnerst du dich noch an Monsieur Renoir? Er ist vor vielen Jahren mit dir im Zoo in der Bronx gewesen.«
Hugh runzelte die Stirn. »An die Löwen erinnere ich mich.« Dann jedoch besann er sich auf seine guten Manieren und trat mit ausgestreckter Hand auf Philippe zu. »Schön, Sie wiederzusehen, Sir.«
Lächelnd schüttelte Philippe dem Jungen die Hand. »Nun, ich kann mich noch gut an dich erinnern, aber ich hätte dich nicht wiedererkannt. Du bist gewachsen. Weißt du noch, dass du mich im Damespiel geschlagen hast?«
Hugh lächelte. »O ja, jetzt weiß ich es wieder. Wir haben es auf dem Schiff gespielt.«
Philippe nickte und blickte zu Lina. »Und diese junge Dame hat während des Spiels auf meinem Schoß gesessen.«
Lina blickte ihn lächelnd an. Sie konnte sich überhaupt nicht daran erinnern.
Michael hatte sich an den Rock seiner Mutter geklammert und beobachtete die Szene.
»Ach du liebe Güte«, murmelte die
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