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Wer nach den Sternen greift

Wer nach den Sternen greift

Titel: Wer nach den Sternen greift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bickmore
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wieder entweicht. Die Maschine reduziert den Druck, und erneut kann Luft in die Lunge dringen. Und so weiter. Dabei gibt es ein pumpendes Geräusch. Wenn die Maschine versagt, kann er in drei Minuten tot sein. Deshalb muss er ständig überwacht werden.«
    »Wie lange wird er in dem Gerät bleiben müssen?«
    Ben zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir nicht. Vor zehn Jahren gab es noch keine eisernen Lungen, jetzt gibt es Tausende davon allein in England. Wir haben aber noch keine Erfahrungswerte. Manche bleiben nur ein paar Tage darin, andere ein ganzes Leben lang.«
    »Für immer?«, flüsterte Alex. Sie und Clarissa blickten einander an. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Ein schreckliches Schicksal«, stimmte Ben zu. »Und doch …« Er brach ab.
    In diesem Moment klingelte das Telefon. James’ Frau sagte Bescheid, es gäbe einen Notfall im Dorf, anscheinend eine Blinddarmentzündung. Ben stand auf. »Ich muss nach Hause, um zu baden und mich umzuziehen«, erklärte er. »Aber ich komme wieder. Clarissa, meine Liebe, nimm diese hier.« Er reichte ihr zwei Tabletten. »Du wirst tief und fest schlafen.«
    Später rief James an und sagte, er komme erst gegen Mittag am nächsten Tag zurück, aber er habe zwei Krankenschwestern gefunden, die Erfahrung mit Polio hätten, und da die Epidemie in London den Höhepunkt überschritten habe, kämen sie mit ihm. Sie hätten sich bereit erklärt, mindestens zwei Wochen zu bleiben.
    »Versprich ihnen alles«, sagte Alex.
    »Das habe ich bereits getan.«
    Als Alex in Olivers Krankenzimmer trat, lag er schon in der riesigen Maschine. Der Techniker schlief in einem Sessel.
    Oliver war wach. Panik stand in seinen Augen, und Alex sah ihm an, dass er Angst davor hatte, für immer in dieser hässlichen Maschine gefangen zu sein, Angst davor, zu sterben.
    Sie weckte den Techniker und zeigte ihm das Zimmer nebenan, wo er die Nacht verbringen konnte. Wenn es nötig war, würde sie ihn wecken. Sie setzte sich ans Bett und sagte: »Ich bin hier, Oliver. Ich bleibe die ganze Nacht.« Sie konnte sonst nichts für ihn tun. Weit nach Mitternacht fiel auch sie in einen unruhigen Schlaf.
    Noch bevor der Morgen graute, wachte sie auf, steif von der ungewohnten Haltung. Sie erhob sich und trat zu Oliver, der die Augen geschlossen hatte. Sie reckte sich und trat ans Fenster. Im Osten, hinter den Hügeln, färbte sich der Himmel rosa.
    Und wenn Oliver starb, dann würde Hugh der Herzog sein. Würde sie dann Philippe heiraten können?
    Und wenn Oliver nicht starb? Wenn er für immer gelähmt bliebe?
    Sie beobachtete, wie der rosa Streifen am Horizont breiter wurde und langsam die Sonne aufging.
    Keine der beiden Möglichkeiten war für sie zu begreifen, aber sie wusste nicht, dass ihr Leben sich so oder so ändern würde.

51
    E nde August erklärte der Arzt, den James und Ben aus London zu Rate gezogen hatten, dass Oliver wahrscheinlich monatelang in der eisernen Lunge bleiben müsse, vielleicht sogar für immer.
    Frank und Annie, mittlerweile achtundsiebzig und einundachtzig Jahre alt, bestiegen sofort die
Normandie
, als sie von Oliver hörten, und kamen am achtundzwanzigsten August in Woodmere an. Sie richteten sich in den Räumen im Obergeschoss ein, in denen sie immer wohnten. Wie Philippe war auch Frank der Meinung, dass die Ereignisse in Europa Anlass zur Besorgnis gaben.
    Clarissa war überglücklich über den Besuch von Frank und Annie. Trotz ihres Alters wirkte Annie jünger als die meisten Frauen, die Clarissa kannte. Annies Haare waren mittlerweile weiß geworden, und sie trug immer noch leuchtende Farben, wenn auch ein wenig gedämpfter als früher. Und sie war mit Diamanten behängt. Als Sophie ihr vorhielt, es zeuge von schlechtem Geschmack, vor vier Uhr nachmittags Diamanten zu tragen, lächelte Annie nur und erwiderte: »Das gilt nur für Frauen, die keine Diamanten haben.«
    Frank trug sein weißes Haar länger als andere Männer, es reichte ihm fast bis auf die Schultern. Sein Schnurrbart war ebenfalls weiß, und Alex fand, er sah eher aus wie ein Trapper und nicht wie einer der geachtetsten Männer in Amerika. Er verkehrte nicht mit den Vanderbilts, die keine große Rolle mehr spielten, sondern mit wichtigen Politikern. Er war einer der wenigen aus New Yorks Elite, der 1932 die Demokraten unterstützt hatte, und jetzt, sieben Jahre später, voraussah, dass Amerika in einen Krieg eintreten würde, der den gesamten Erdball umspannte.
    Am dritten September 1939 hörte

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