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Wer nach den Sternen greift

Wer nach den Sternen greift

Titel: Wer nach den Sternen greift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bickmore
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derjenigen, die von Anfang an dabei gewesen waren, auf sie zu.
    Er nahm ihre Hände in seine und sagte: »Sein Boot ist letztes Mal nicht zurückgekehrt.«
    Sie starrte ihn an. »Wie meinst du das, sein Boot ist nicht zurückgekehrt?«
    »Wir wissen es nicht. Wir haben den Strand in beide Richtungen abgesucht, aber es gab kein Zeichen von ihm. Wir wissen nicht, ob die See oder die Deutschen ihn bekommen haben.«
    Alex schnürte es die Kehle zu, und sie würgte. Ihr Atem ging stoßweise. Claude fing sie auf, als sie taumelte und beinahe ohnmächtig wurde.
    James trat auf sie zu. »Was ist los?«
    »Philippe ist letztes Mal nicht zurückgekehrt«, erklärte Claude.
    »O Gott«, sagte James. Zu Alex gewandt fügte er hinzu: »Ich bleibe bei dir.«
    »Nein«, erwiderte sie, »ich gebe den Männern etwas zu essen. Es geht schon.«
    Aber eigentlich ging es nicht. Mechanisch bereitete sie Eier und Speck und Kaffee zu, dann legten sich die Männer hin, um zu schlafen, und sie lag auf Philippes Matratze und blickte auf die tiefhängenden grauen Wolken, die weißen Schaumkronen und das Gras auf den Dünen, das sich im Wind wiegte. Sie lag da, mit offenen Augen, ohne wirklich etwas zu sehen. Um fünf Uhr stand sie auf, kochte den Männern etwas zu essen und blickte ihnen nach, als sie in der Dämmerung aufbrachen. Claude küsste sie zum Abschied auf die Wange. Sie spürten den Verlust sicher ebenso wie sie.
    Als sie weg waren, kehrte sie zum Haus zurück, setzte sich auf einen Stuhl und starrte die ganze Nacht in die Dunkelheit hinaus. Es war so still, dass sie sich fragte, ob ihr Herz wohl aufgehört hatte zu schlagen. Sie spürte nichts.
    Hatten sie ihn gefangen genommen? War er tot? War er schon seit drei Wochen tot, und sie hatte es nicht gewusst? Dann war er gestorben, bevor Oliver gestorben war, bevor die Kinder gegangen waren. War er ertrunken? Hatte ein deutscher Soldat ihn gefangen genommen? Hatten sie ihn gefoltert? Hatten sie ihn erschossen? War er irgendwo im Gefängnis? Sie hatte gehört, dass manche Gefangenen sich ihr eigenes Grab schaufeln mussten. War ihm das auch geschehen? Hatte er Angst gehabt? Oder war sein Boot untergegangen, und er hatte gewusst, dass er ertrinken würde? War er Minuten oder Stunden, nachdem er sie verlassen hatte, nachdem sie sich hinter der Düne geliebt hatten, gestorben?
    Ihr war kalt. Sie drückte die Hände auf die Brust, spürte jedoch keinen Herzschlag. Alles war wie erstarrt. Sie konnte nicht weinen.
    Als sich am Horizont der erste Lichtstreifen zeigte, stieg sie in ihr Auto und fuhr zum Schloss zurück. Sie sah kaum, wo sie entlangfuhr.
    Kurz vor halb acht hielt sie vor dem Schloss. Ein Army-Jeep stand dort. Oh, Gott sei Dank, Hugh war zu Hause. Er hatte wohl überraschend Urlaub bekommen. Ihr Herz machte einen Satz, als sie die Wagentür öffnete.
    In diesem Moment kam Clarissa auf sie zugerannt und schwenkte die Arme.
    »Hugh«, schrie sie. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie war noch im Nachthemd. Sie hatte sich noch nicht einmal die Zeit genommen, einen Morgenmantel anzuziehen.
    »Sein Flugzeug ist abgestürzt. Es gibt keine Überlebenden.«

59
    S ie ist völlig erstarrt und teilnahmslos«, sagte James zu Clarissa.
    »Ja, sie scheint mich nicht zu erkennen und starrt immer nur vor sich hin. Selbst nachts macht sie kein Auge zu«, erwiderte Clarissa.
    James nickte. »Sie flieht vor der Wirklichkeit, weil sie zu grausam ist.«
    »Und dabei war sie immer diejenige, auf die wir uns verlassen konnten. Ich weiß nicht, was ich all die Jahre ohne sie getan hätte.«
    »Ja, das gilt für uns alle.«
    »Noch vor drei Wochen hatte sie einen Ehemann, alle ihre Kinder und …« Sie vollendete den Satz nicht. James brauchte nichts von Philippe zu wissen.
    »Und jetzt ist keines ihrer Kinder hier.«
    Und ich, dachte Clarissa, ich bin eine Mörderin. Warum hat es mich nicht getroffen, warum Alex? Laut sagte sie: »Und dabei soll das Leben doch einfacher werden, je älter man wird.«
    »Das habe ich auch einmal geglaubt, aber jetzt … Wir haben unser Schicksal nicht in der Hand, meine liebe Clarissa. Wir müssen annehmen, was das Leben für uns bereithält.«
    »Ach, James, das ist alles nicht zu erklären, oder?«
    »Nein. Nun, ich muss jetzt weiter meine Runde machen. Der Krieg hält die Menschen nicht davon ab, krank zu werden oder Babys zu bekommen.« Er wies mit dem Kopf auf Alex, die völlig erstarrt auf ihrem Bett lag und mit weit aufgerissenen Augen ins Leere schaute. »Wenn

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