Wer nach den Sternen greift
Parkett, ihre Frauen trugen viel zu viel Schmuck und die neueste Pariser Mode in viel zu grellen Farben. Ihre Töchter zeigten sich in Pastellfarben, wie es sich für junge Damen schickte, konnten wundervoll tanzen, sprachen akzentfrei Französisch und flirteten mit den jungen Männern, die zu ihren Soireen kamen.
Ende Januar lief Frederic Hult Sophie erneut über den Weg. Es war Samstagnachmittag, und sie war zum Schlittschuhlaufen in den Central Park gegangen. Ein Lakai begleitete sie, weil sie sich nicht allein im Park aufhalten durfte. Während sie sich auf dem Eis vergnügte, setzte er sich in das Häuschen zu dem alten Mann, der Kakao und heißen Apfelsaft verkaufte, und beobachtete Sophie durch die vom Dampf beschlagenen Scheiben.
Sophie, die seit ihrem achten Lebensjahr Schlittschuh laufen konnte, hatte keine Lust, Figuren zu laufen. Sie hatte lediglich das Bedürfnis verspürt, sich ein bisschen an der frischen Luft zu bewegen. Am liebsten hätte sie laut geschrien.
Grimmig presste sie die Lippen zusammen und grübelte finster vor sich hin. Dabei bemerkte sie den kleinen Jungen von vielleicht sechs Jahren nicht, der wie ein Pfeil auf seinen Schlittschuhen mal hierhin, mal dahin schoss. Sie stolperte über ihn, rutschte der Länge nach über die Eisfläche und in einen Schneehaufen hinein. Wütend setzte sie sich auf, wischte sich den Schnee aus den Haaren und dem Gesicht und sagte laut:
»Merde!
Kannst du nicht aufpassen?« Aber der kleine Junge war verschwunden. Stattdessen stand ein junger Mann vor ihr.
Lachend streckte er ihr die Hand entgegen, und sie blickte in ein vertrautes Gesicht, das sie jedoch nicht einordnen konnte.
»Wie erfrischend!«, sagte er und half ihr beim Aufstehen. »In meinem ganzen Leben habe ich noch keine Frau
merde
sagen hören.«
Sophie errötete. Selbst ihre Mutter wäre schockiert gewesen.
Der Mann trug einen langen schwarzen Mantel und einen roten Schal um den Hals. Sein Hut saß keck auf seinem Kopf, und seine Augen funkelten amüsiert. Sein schwarzer Schnurrbart betonte noch das Weiß seiner Zähne.
Sophie entzog ihrem Retter ihre Hand und richtete sich auf. Sie war wütend, dass sie gestürzt war, und bereit, es an ihrem Retter auszulassen. Aber als sie sah, dass er nicht
über
sie lachte, sondern eher
mit
ihr, verzog sie unwillkürlich die Mundwinkel. Dann lachte sie ebenfalls.
»Ich habe vermutlich die Beherrschung verloren«, sagte sie.
»Und Ihre Anmut, muss ich sagen. Dabei habe ich Ihre Eislaufkünste sehr bewundert.«
Er kam ihr irgendwie bekannt vor, aber sie konnte ihn nicht unterbringen.
»Wie wäre es mit einem Glas heißen Apfelsaft?«, schlug er ihr vor. »Er ist sehr gut hier.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen, ohne allerdings den Handschuh auszuziehen. »Ich bin Sophie Curran.«
Er nickte. »Ja, ich weiß. Wir sind uns bereits begegnet.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann Sie nicht einordnen, aber Sie kommen mir bekannt vor.« Er wirkte älter als die jungen Männer, die sie in diesem Winter auf den Partys getroffen hatte.
»Ich bin Frederic Hult. Wir haben uns letzten Sommer in Saratoga kurz gesehen.«
»Ah ja, wir haben miteinander getanzt, wenn ich mich recht erinnere.«
»Ja, allerdings viel zu kurz, fand ich. Kommen Sie, ich spendiere Ihnen einen Apfelsaft.«
Sie lief zu der Bank, wo ihre Stiefel standen, und er kniete sich hin, um ihr aus den Schlittschuhen zu helfen.
»Leben Sie in der Stadt?«, fragte sie.
»Ich bin hier aufgewachsen, na ja, hier und im Ausland.«
»Wo im Ausland?«
»In Frankreich und Deutschland.«
Er trug ihre Schlittschuhe, als sie zu dem kleinen Häuschen gingen, wo es die Getränke gab. »Ich kenne kaum jemanden, der in Deutschland war. Warum waren Sie dort?«
»Meine Großeltern stammen von dort, deshalb bin ich dort zur Schule gegangen.«
»Zur Schule?«
»Ja, auf die Universität.«
Sie setzten sich an einen Tisch, von dem aus man die Schlittschuhbahn nicht sehen konnte.
»Warum sind Sie denn in Deutschland zur Universität gegangen?« Die jungen Männer, die sie kannte, studierten in Harvard, Yale und Princeton.
»Ich wollte Ingenieurwesen studieren, und dafür gibt es keine bessere Universität.«
Ingenieurwesen? Keiner der jungen Männer, die sie kannte, studierte ein bestimmtes Fach. Sie gingen einfach nur zur Universität. Oh, sicher, einige hatten einen Abschluss in Ökonomie, aber sie machten selten etwas daraus. Es war einfach nur eine Beschäftigung.
»Ich wäre auch gerne auf
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