Wer nach den Sternen greift
wahr?«
»Ja.«
Sie hörte dem jungen Mann, der gut tanzte und sehr gut aussah, kaum zu. Als der Tanz vorüber war, stand Colin schon neben ihr und geleitete sie zurück zum Tisch.
Frank und Annie hatten auch ein paarmal getanzt, und Colins Eltern waren schweigend am Tisch zurückgeblieben, keine unübliche Situation. Kurz darauf entschuldigten sich Sophies Eltern und zogen sich früh zurück. Colin ging mit Sophie auf die Veranda hinaus und über die breite Treppe in den Garten, der mit japanischen Papierlaternen erleuchtet war. Dort küsste er sie, streifte leicht mit seinen Lippen ihren Mund und sagte, er würde sie besuchen, wenn sie im September wieder in der Stadt seien. In zwei Monaten.
»Woher wissen Sie, wann ich zurückkomme?«
Lächelnd strich er mit seinem Finger über ihr Kinn. »Ich weiß es eben.«
Jeder Meter, den sie im Zug nach Colorado zurücklegte, irritierte Sophie. Sie entfernte sich von der einzigen Chance, die sie jemals gehabt hatte. Colin hatte gesagt, er würde sie nach ihrer Rückkehr besuchen. Jetzt war erst der fünfzehnte Juli, und vor Mitte September kamen sie nicht zurück nach New York. Ob es dann wohl zu spät war? Ob er in der Zwischenzeit eine andere kennenlernte?
Sie konnte die Ferien nicht genießen, hatte an nichts Freude und fand alles und jeden sterbenslangweilig. Sie blickte auf die zerklüfteten Berge und fand die hohen Gebäude in New York wesentlich interessanter. Vergeblich hoffte sie auf einen Brief, aber sie hatte Colin ihre Adresse nicht gegeben. Wenn sie ihm wirklich etwas bedeutete, würde er sie herausfinden. Schließlich hatte er sie ja geküsst, und das bedeutete doch sicher, dass er es ernst meinte. Er kam ihr nicht so vor wie jemand, der die Unerfahrenheit eines jungen Mädchens ausnutzte.
Mary Ann und Ethan versprachen Annie, zu Sophies Debüt im Winter nach New York zu kommen. Sie waren noch nie auf einem Debütantinnenball gewesen. O Gott, dachte Sophie, ich will nicht, dass meine ganze Familie dorthin kommt. Wenn ich in die Gesellschaft eingeführt werde, will ich nicht alle dabeihaben. Schließlich könnten sie ja jetzt, nachdem die von Rhysdales uns zum Abendessen eingeladen hatten, sogar Colin zum Ball einladen. Und vielleicht würde Mrs. von Rhysdale sie und Annie ja trotz ihrer distanzierten Art zum Tee bitten, und wenn es nur geschah, um Colin einen Gefallen zu tun.
Ob Colin überhaupt an sie dachte?
Sie sah ihre Eltern vor sich, die sich nach fast zwanzig Jahren Ehe immer noch häufig küssten. Ob es ihr mit Colin auch so gehen würde? Als seine Lippen die ihren gestreift hatten, hatte sie nichts empfunden. Sie war nicht in Colin verliebt, er war für sie lediglich ein Instrument. Ein Weg, um ihr Ziel zu erreichen. Sie versuchte, von ihm zu träumen, aber es gelang ihr nicht. Sie versuchte, sich zu erinnern, wie er aussah, aber sie konnte ihn sich kaum noch vorstellen. Eines Nachts versuchte sie sogar, sich selbst zu hypnotisieren. Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen aufs Bett, die Hände auf den Knien, und schloss die Augen. Dann konzentrierte sie sich auf Colins Gesicht. Aber es blieb alles dunkel. Sie sah nichts.
Aber das war wohl in Ordnung so, versuchte sie sich einzureden. Eigentlich wollte sie nur wissen, ob er an sie dachte.
Als sie Mitte September nach New York zurückkehrten, wartete sie jeden Tag auf Nachricht. Sie bat den Kutscher, an der Villa der von Rhysdales vorbeizufahren. Sie las die Gesellschaftsnachrichten in der Zeitung, und dort erfuhr sie Ende Oktober, dass die Familie von Rhysdale sich für längere Zeit in Europa aufhielt. Hatte Diana von Rhysdale wirklich solchen Einfluss auf ihren siebenundzwanzigjährigen Sohn?
Ende November las sie, dass Mrs. von Rhysdale am Abend nach Thanksgiving ein Fest für achtundvierzig Personen gab, um Spenden für die Erdbebenopfer in Ecuador zu sammeln. Wo war denn Colin?
Weihnachten kam, und anschließend begann die Saison der Debüts, der Kotillons, der Tanzveranstaltungen, Dinner und Bälle in einer endlosen Abfolge den ganzen Winter über. Sophies Debüt fand erst im Februar statt. Sie ging zu allen Partys, jedes Mal in einem neuen Kleid, begegnete jedoch nie einem jungen Mann von den oberen Vierhundert. Aber sie lernte unzählige junge Männer kennen, die aus Familien kamen, die die High Society mit Leichtigkeit hätten aufkaufen können, Söhne von Männern, die ähnlich wie Frank Curran unermesslich reich waren. Sie bewegten sich unbeholfen auf dem gesellschaftlichen
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