Wer nach den Sternen greift
sagte er und ritt voraus zu einem gewundenen kleinen Bach, den sie allein nicht gefunden hätte.
»Im Frühling führt er viel Wasser«, erklärte Harry und ließ sein Pferd trinken. »Weiter vorn haben Biber einen Damm gebaut, und dort hat sich ein Tümpel gebildet. An heißen Tagen komme ich hierhin, wenn ich mich abkühlen und schwimmen möchte.«
Alex hörte ihm aufmerksam zu. »Was machen Sie so?«, fragte sie.
Fragend zog er die Augenbrauen hoch. »Ich bin Pferdeknecht.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine, wenn Sie nicht arbeiten.«
»Im Herbst jagen, im Sommer fischen, am Auto meines Vaters herumbasteln. Das heißt, eigentlich ist es ja das Auto Ihres Großvaters. Und an den Abenden spiele ich Baseball mit meinen Freunden. Also das, was jeder so macht.«
»Nicht jeder«, erwiderte sie. »Ich habe so etwas noch nie gemacht. Nur auf der Jagd war ich mal, in Denver. Ich habe sogar ein Reh geschossen.«
Er hörte ihrer Stimme an, dass es ihr nicht gefallen hatte.
»Und dabei sind sie so schön«, flüsterte sie.
»Sie auch.«
Sie blickte ihn an. »Was wollen Sie mit Ihrem Leben anfangen?«, fragte sie. »Ich sehe Ihnen doch an, dass Sie nicht für immer Pferdeknecht sein wollen.«
»Ich möchte irgendetwas mit Autos machen. In einer Werkstatt oder Tankstelle arbeiten, Autos reparieren und so.«
Sie kannte niemanden, der mit seinen Händen arbeiten wollte. Die jungen Männer, die sie kannte, dachten nicht daran zu arbeiten, es sei denn als Bankier oder in den Unternehmen ihrer Väter.
»Wie alt sind Sie?«, fragte sie.
»Zwanzig.« Er blickte sie unverwandt an, bis sie wegschaute. »Und was tun Sie?«
Sie überlegte. »Ich gehe gerne einkaufen, obwohl meine Mutter meistens meine Kleider aussucht. Ich gehe aus, auf Bälle und Partys, und ich reite. Im Winter laufe ich Schlittschuh im Central Park.«
Er lächelte sie an. »Ist das alles? Ist Ihnen nicht langweilig?«
Sie seufzte. »Ja, manchmal langweile ich mich schrecklich. Aber was soll ich sonst machen?«
Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Frauen sind wahrscheinlich nicht so glücklich dran.«
»Frauen? Was macht Ihre Mutter denn?«
»Meine Mutter? Gott, sie arbeitet die ganze Zeit. Sie putzt unser Haus, sie putzt Ihr Haus, sie wäscht und bügelt und kocht und kauft ein. Im Sommer hat sie auch noch den Garten, um den sie sich kümmern muss. Und sie macht die Betten und …«
Alex hörte schon nicht mehr zu. Sie war fast achtzehn Jahre alt und hatte sich noch nicht ein einziges Mal Gedanken darüber gemacht, was andere Leute taten. Sie unterbrach ihn: »Was studieren Sie?«
»Ach, wie man einen Vergaser auseinander- und wieder zusammenbaut, zum Beispiel. Ich übe an dem Ford, den Ihr Großvater meinem Vater zur Verfügung gestellt hat. Ab und zu fahre ich damit auch mal in die Stadt. Der Wagen ist natürlich nichts gegen den Packard und den Hult, die in Ihren Garagen stehen. Können Sie Auto fahren?«
»Warum, um alles in der Welt, sollte ich das können?« Eine Frau konnte doch unmöglich Auto fahren!
»Meine Schwester kann Auto fahren«, erklärte Harry ihr. »Sie ist Lehrerin, drüben in Smithtown, und sie fährt Auto.«
»Tatsächlich?«
»Soll ich es Ihnen beibringen? Das könnte ich!«
Alex überlegte einen Moment lang. Ob ihre Mutter das wohl billigen würde? Es klang so aufregend, so anders als alles, was ihre Freundinnen machten. »Könnten Sie es mir heimlich beibringen?«
»Ja, sicher«, erwiderte er. »Der Ford wird ja kaum benutzt.«
»Oh, das wäre wunderbar.« Ihr Vater würde sich sicher freuen, oder? Und ihr Großvater wäre begeistert. Er redete doch ständig über Autos, und letztes Frühjahr war sie mit ihm bis nach Connecticut gefahren. Das wäre eine Überraschung, wenn sie zu ihm sagen könnte: »Ich kann Auto fahren, Grandpa.«
Den Rest des Sommers verbrachte Alex also damit, fahren zu lernen und sich in einen jungen Mann zu verlieben, der ganz anders war als die anderen, die sie kannte. Nachts lag sie schlaflos in ihrem Bett, lauschte auf die Geräusche vor ihrem Fenster und dachte an Harrys schlanke Finger, wie sie das Lenkrad oder die Zügel des Pferdes umfassten. Sie blickte in seine warmen braunen Augen, die immer zu zwinkern schienen, lauschte seinen Worten, die sie so oft zum Lachen brachten und ihr vermittelten, wie schön er sie fand. Sie konnte nicht schlafen, weil sie wollte, dass seine Hände sie berührten, weil sie nichts sehnlicher wollte, als ihn anzufassen.
»Sie sind ein
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