Wer nicht küsst, der nicht gewinnt: Roman (German Edition)
jemandem zu treffen«, sagte sie und senkte die Stimme. »Eigentlich soll ich niemandem davon erzählen.« Sie blickte sich um, als hätte sie die Befürchtung, der Raum sei verwanzt. »Der Typ ist eine große Nummer in der Musikszene. Er hat den ›Rugger-Buggers‹ einen Gig in London angeboten. Vielleicht könnte er auch ein Interview in einer Zeitschrift lancieren und sie richtig bekannt machen.«
Sie wirkte enthusiastisch, und ich rang mir ein Lächeln ab. Glen war ein ganz guter Bassist, aber der Rest der Band war bestenfalls mittelmäßig. Pete war der Meinung, dass sie besser ihre eigenen Sachen schreiben sollten, statt Oasis zu covern, und dass sie vor allem ihren lächerlichen Namen ändern sollten. Insgeheim stimmte ich ihm darin zu. Jetzt hatte ich aber vor allem eine Erklärung dafür, warum Glen in dem Restaurant gewesen war. »Ich drück die Daumen«, sagte ich und gab mir Mühe, mich für sie zu freuen.
Daheim teilte ich Pete mit, dass wir Sonntagabend zur Kirmes gehen würden. Die kam jedes Jahr in die Stadt, aber ich hatte mich noch nie dazu durchringen können, in eine der Attraktionen hineinzugehen. Nachdem ich einen Flyer im Briefkasten gefunden hatte, hatte ich beschlossen, dass es jetzt mal Zeit wurde.
»Warum das denn?«, fragte Pete und stopfte Tortillachips in sich hinein, während ich ein Risotto zubereitete. »Ich dachte, du hasst Kirmes.«
»Das ist die Überraschung!«, trällerte ich und schwenkte den Kochlöffel, den ich in der Hand hielt. Er schaute mich sonderbar an.
»O-kay.« Er hörte auf zu essen und schnipste einen Krümel von seinem T-Shirt. »Eigentlich mag ich Kirmes auch nicht besonders gern«, sagte er und runzelte die Stirn. »Ich bin mal als Kind aus einer dieser Teetassen im ›Alice im Wunderland‹-Karussell gefallen.«
»Komm schon, Pete. Das wird ein großer Spaß.« Dieser Ausdruck klang merkwürdig aus meinem Mund, und Pete wirkte irritiert. »Es ist noch ein paar Tage hin. Du kannst ja mal darüber nachdenken.«
Er kratzte sich am Kopf. »Nein, doch, ich würde schon gerne hingehen«, sagte er zögernd. »Ich werde einfach eine Kotztüte mitnehmen.«
Plötzlich sah ich mich selbst auf dem ›Flying Wheel‹ – oder wie auch immer das hieß –, wie ich hysterisch herumschrie und mit den Armen fuchtelte, der Magen rebellierend, die Haare im Gesicht, ängstlich, glücklich und aufgeregt, alles auf ein Mal.
»Ist mit dir alles okay?«, fragte Pete. Mir wurde bewusst, dass ich immer noch mit dem Löffel dastand und albern grinste.
»Alles okay«, sagte ich. »Verdammter Mist.« Das Risotto war hinüber.
Zu dem Zeitpunkt, als Belles Modenschau anstand, war ich dann doch sehr nervös.
»Du wirkst irgendwie … anders«, sagte Dad und überraschte mich mit diesem Kommentar, als ich gerade mit der Gabel Butter auf mein Toast strich. Es war bereits nach zehn, und ich musste noch Lebensmittel einkaufen. Ich hatte mich gerade erst angezogen, nachdem ich Pete, der zu seinem Bruder Bob in den Norden fuhr, hinausgescheucht hatte.
»Inwiefern anders?« Ich schaute Dad neugierig an. Die Frage hatte ich mir auch schon gestellt, konnte aber lediglich feststellen, dass ich mich wie hellwach nach jahrelangem Tiefschlaf fühlte.
Auslöser war meine Begegnung mit Elliot auf der Toilette, die mir ständig bruchstückhaft in den Sinn kam: wie wir uns wie Einbrecher vor Vivienne versteckt hatten. Wie er wie ein schlaksiger Buddha auf der Toilette gethront hatte. Viviennes unverschämter Kommentar zu meinem Hintern. Die Eindeutigkeit, mit der er auf meiner Seite gestanden hatte, mitfühlend, aber gleichzeitig bemüht, mich zum Lachen zu bringen, um der Sache den Stachel zu ziehen.
Das Dunkelgrün seines Pullovers und sein eigentümlicher Geruch hatten sich mir unwiderruflich eingeprägt. In seiner Nähe schien alles heller und lebendiger zu sein, wohingegen mir die monatelangen Hochzeitsvorbereitungen wie ein Traum erschienen. Das war alles ziemlich beängstigend.
»Du wirkst ein wenig orientierungslos«, sagte Dad besorgt. Er hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Frauen nur schwer verstand, aber er gab sich immer sehr viel Mühe. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
»Klar«, sagte ich zögerlich und musste daran denken, was Elliot über Dad und die Bilanzfälschung gesagt hatte, was kaum vorstellbar war. Als ich ihn jetzt in seinem Overall da stehen sah, hätte ich am liebsten losgeweint. »Ich koche nachher noch für einen neuen Kunden, ansonsten
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