Wer nicht küsst, der nicht gewinnt: Roman (German Edition)
stimmt alles.«
»Schön.« Dad nickte und war zufrieden, dass er die Sache gut über die Bühne gebracht hatte. Für ihn würde ich immer die Sechsjährige bleiben, die in einem Krankenhausbett nach Luft rang. Und für mich war er einfach … nun … Dad. Altmodisch, unkompliziert, aber absolut unsicher im Umgang mit dem, was er »Frauenkram« nannte. Einmal hatte er ein Paket Binden im Bad liegen sehen und sich geweigert, den Raum zu betreten, wenn Mum es nicht wegräumen würde.
»Um Himmels willen, Lionel, Frauen bluten nun einmal«, hatte sie gesagt und vor seiner Nase damit herumgewedelt. »Damit wirst du leben müssen.«
Bei der Erinnerung musste ich lächeln. »Und wie geht es dir?« Ich räusperte mich. »Auch finanziell, meine ich.« Die Ankündigung des potentiellen Betrugs hallte noch deutlich in meinen Ohren nach. Allerdings redete er nur ungern über Finanzen, besonders mit mir. Er hatte kein Problem damit, Geld herauszurücken, und wirkte fast froh, wenn er auf diese Weise seine Männerrolle noch erfüllen konnte. Über Geld zu reden war aber etwas ganz anderes.
»Alles bestens.« Er runzelte die Stirn. »Keine Probleme an dieser Front, Gürkchen, das kann ich dir versichern.« Er steckte seine Hand tief in eine Packung Cornflakes, als würde er nach einem Schatz graben. »Freu du dich einfach auf deinen großen Tag«, sagte er. »Dein alter Vater wird stolz auf dich sein.«
Ich spürte, wie ich rot wurde, und murmelte irgendetwas Unverfängliches. »Ach, übrigens«, fügte ich hinzu und schlüpfte bereits mit dem Arm in meinen Mantel. »Wusstest du, dass Mum immer gern mal ein Familienfoto gehabt hätte? In Schwarz-Weiß?«
»Ach ja?« Er kniff die Augen zusammen und kramte in seiner Erinnerung.
»Ja, schon seit Ewigkeiten«, sagte ich ungeduldig. Für solche Dinge hatte er einfach keinen Sensor. Normalerweise sagte ihm Mum, was sie gerne hätte, kaufte es sich dann selbst und schwindelte ein wenig bezüglich des Preises. »Zumindest habe ich zu ihrem Geburtstag eine Sitzung bei einem Spitzenfotografen arrangiert«, verkündete ich.
Sein Gesicht hellte sich auf. »Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir, Sasha«, freute er sich, und ich wurde von Schuldgefühlen gepackt. »Dann werde ich einen schönen Rahmen für das Foto anfertigen, wenn du magst. Und mir vorher noch die Haare schneiden lassen.«
Ich lachte. Dad hatte die Frisur eines verrückten Professors, und sie führte definitiv ein Eigenleben. Zweimal im Jahr musste er geradezu zum Friseur geschleppt werden. »Und wenn ich schon einmal da bin, werde ich sie mir auch färben lassen.«
»Was ist denn hier so lustig?«, fragte Mum und gähnte. Ich schlüpfte hinaus und überließ ihnen das Feld.
19. Kapitel
Belles Wohnung lag in einem Neubau in einem angesagten Stadtteil von London. Das Gebäude sah aus wie ein umgebautes Lagerhaus, und ich stellte erleichtert fest, dass wir keine Treppen zu bewältigen hatten.
Einmal hatten Rosie und ich das Catering für eine Party im obersten Stockwerk eines Hochhauses übernommen, und prompt war an dem Abend der Fahrstuhl ausgefallen. Verschwitzt und kraftlos waren wir auf halbem Weg dort hoch zusammengebrochen und hatten ernsthaft in Erwägung gezogen, die Gäste im Treppenhaus zu Tisch zu bitten. Es hatte Tage gedauert, bis wir uns davon erholt hatten.
Rosie hatte sich gestern schon mit einer grässlichen Erkältung ins Bett legen müssen und war bitter enttäuscht, dass sie nicht kommen konnte. Sie hatte Tina – oder war es Tanya? – geschickt, damit sie mir helfe. Die war auch schon da, hatte ihren kleinen, blauen Honda auf einem der privaten Stellplätze geparkt und winkte mir zu.
»Das ist ja alles waaahnsinnig aufregend!«, sagte sie, als sie herbeigeschossen kam und in den Lieferwagen lugte. »Was haben wir denn dabei?« Ihre Beine sahen in der hautengen Jeans wie Pfeifenputzer aus, und ihre Haare hatte sie kunstvoll auf dem Kopf drapiert. Dagegen fühlte ich mich in meiner Trainingshose und der Fleecejacke wie meine eigene Großmutter. Eine gute Figur machte man in dieser Kluft wahrlich nicht, wie Rosie zu sagen pflegte.
»Kanapees und so. Fingerfood«, erklärte ich, aber sie schaute mich nur ratlos an.
Als sie gar nicht aufhörte, so dreinzuschauen, zeigte ich auf die Kabel, die aus ihren Ohren kamen.
»Ups!« Sie zog die Stöpsel ihres iPods heraus und strahlte. »Ich hatte mich schon gewundert, warum ich dich nicht verstehe.«
»Wo ist denn Tina?«, fragte ich. »Kauft sie
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