Wer nichts hat, kann alles geben
nicht auf die Zähne beißen würde?« Ich erwidere dann immer: »Glauben Sie, Sie geben jetzt ein besseres Vorbild ab? Wenn Sie Ihre Kinder kaum zu Gesicht bekommen, weil Sie unter der Woche müde und abgekämpft aus dem Büro nach Hause kommen, wenn die Kinder schon im Bett sind? Und am Wochenende, da sind Sie vom Stress der Arbeitswoche so geschafft, dass Sie auch zu nichts zu gebrauchen sind. Wollen Sie wirklich, dass Ihre Kinder dieses Leben zum Vorbild nehmen?«
In so einer Situation ist es doch vernünftiger zu sagen: »Liebe Familie, ich habe einen Entschluss gefasst. Mein Job nervt mich furchtbar, und ich werde, wenn ich so weitermache, vermutlich nicht alt werden, weil ich irgendwann mit einem Herzinfarkt umfalle. Das möchte ich nicht, und ich hoffe, ihr wollt das auch nicht. Meine Lösung lautet: Ich werde mir einen Job suchen, der mir mehr Spaß macht, aber nur zwei Drittel des Geldes einbringt. Das heißt, wir können bei weitem nicht mehr so viel ausgeben wie jetzt. Worauf sind wir bereit zu verzichten – wir alle miteinander? «
Eine solche Strategie birgt natürlich gewisse Risiken. Aber gemäß meinem Prinzip, sich zu fragen, was die
schlimmstmögliche Konsequenz einer solchen Entscheidung wäre, kommt man dann schnell zum Ergebnis: Privatkonkurs. Als ich beschloss, mich von meinem Reichtum zu trennen, habe auch ich mir gesagt: Wenn das Schlimmste, das mir passieren kann, die Pleite ist, dann nur zu. Damit befindet man sich doch in bester Gesellschaft. Gerade die hinter uns liegende Krise hat gezeigt, dass jede zweite Bank in die Insolvenz geschlittert wäre, wenn die Regierungen sie nicht mit Unsummen aufgefangen hätten. Sogar einige Staaten Europas sind pleite und werden nur von einem Rettungsschirm am Leben erhalten. Und natürlich zahlen wir dafür, das heißt Sie und ich und noch viele andere.
Für viele Unternehmen hat sich eine Pleite im Nachhinein sogar als Glücksfall erwiesen, weil sie ihnen dabei half, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden und Ballast abzuwerfen. Warum scheuen sich dann so viele davor, ein solches Risiko einzugehen? Die Antwort lautet, weil sie dann als Versager gelten. Ich aber erwidere darauf: »Was heißt das denn: Versager? Dann hast du dich eben in deiner Einschätzung geirrt. Aber das ist immer noch besser, als sich bei der Frage zu irren, wie viel man sich selbst eigentlich zumuten kann – und irgendwann am eigenen Unglück zu zerbrechen, mit Herzinfarkt, Burn-out, Krebs oder Depressionen. «
Die zurückliegende Krise wäre eine Chance gewesen, die Entwicklungspotenziale unserer Gesellschaft im großen Stil zu wecken. Die Welt befinde sich am
Abgrund, hieß es, eine Weltwirtschaftskrise historischen Ausmaßes stehe unmittelbar bevor. In Talkshows und Zeitungskommentaren, in Sonntagsreden und Parlamentsdebatten – überall war die Rede davon, dass es so nicht weitergehen könne und wir alle zusammen umdenken müssten. Wie sich herausgestellt hat, war dieses Innehalten jedoch nur ein Moment, in dem alle einmal tief eingeatmet haben – um dann mit vollem Schwung so weiterzumachen wie vor Ausbruch dieser Krise. Dabei hätte man die Gelegenheit nutzen können, die Legende vom ewigen Wachstum aus der Welt zu schaffen.
Ein Gedankenspiel: Was würde passieren, wenn man den gezielten Abbau des Bruttoinlandsprodukts einleitete – sagen wir, um fünf Prozent im Jahr, so lange, bis es halbiert ist? Die Menschen wären aufgefordert, Produkte nicht mehr zu kaufen, die sie nicht benötigen. Damit müssten sie auch nicht mehr produziert werden, es gäbe weniger Müll, man müsste dafür auch nicht mehr arbeiten. Dafür hätten die Menschen dann mehr Freizeit, durch dieses Mehr an Freizeit und das Weniger an Stress bräuchte man weniger Gesundheitsvorsorge und Kinderbetreuung. Es gäbe weniger Umweltzerstörung und so weiter und so fort.
Um über solche Ideen zu diskutieren, braucht es die Bereitschaft, sich von Konventionen zu lösen und auf Neues einzulassen. Nur so wäre es möglich gewesen, aus der Krise wirklich etwas zu lernen. Was aber machten stattdessen Politiker und Wirtschaftsbosse? Sie verharrten in ihren traditionellen Denkmustern,
gaben Milliarden aus, die wir und unsere Kinder erst in langer, harter Arbeit werden verdienen müssen, und waren froh, als das Hamsterrad, in dem wir alle stecken, wieder einigermaßen zu laufen begann. Nach dem Motto: Puh, Glück gehabt, das ging gerade nochmal gut. Darauf zu setzen, dass sich in unserer Gesellschaft
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