Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
auf dem ihre Namen standen. FDR sagte immer, dass er keinen Grabstein haben wollte, der größer war als sein Schreibtisch im Oval Office. Umgeben von hohen Tannen konnten Franklin und Eleanor endlich allein miteinander sein. Sara, die nur dreieinhalb Jahre vor ihrem Sohn starb, wurde auf dem Friedhof der örtlichen Kirche begraben. Muss schon demütigend sein, dachte ich mir, wenn man das Nachsehen hinter einem Scotch Terrier hat. In New York gibt es einen Sara Delano Roosevelt Memorial Park, auf den ich neulich beim Spazierengehen in meinem Viertel gestoßen bin. Er ist nur ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt. Eleanor hatte recht – man konnte nie wissen, wo diese Frau plötzlich wieder auftauchte.
Franklins und Eleanors Kinder führten ein ziemlich aufregendes Leben. Elliott schrieb bizarrerweise eine Krimiserie mit seiner Mutter als Detektivin. Er verärgerte die Familie, indem er drei Enthüllungsbücher über seine Eltern schrieb, die Details über ihr Sexleben und FDR s Affären enthielten. Die fünf Geschwister brachten es auf neunzehn Ehen, fünfzehn Scheidungen und neunundzwanzig Kinder. Anna heiratete dreimal. Franklin junior und Elliott hatten jeweils fünf Frauen. James hatte sieben Kinder mit vier Ehefrauen und machte Schlagzeilen, als ihn seine dritte Frau bei einem Streit mit einem Messer angriff und verletzte. John war nur einmal verheiratet, aber – was für die Roosevelts sicher am verstörendsten war – er wurde Republikaner. Trotzdem unterstützte Eleanor ihre Kinder, wo immer sie konnte.
»Niemand kann pausenlos sein Bestes geben«, fand sie, »und fast alle lieben wir die Leute eher wegen ihrer Schwächen als wegen ihrer Stärken.«
Auf dem Weg zurück zum Parkplatz blieben wir im Schatten der Bäume stehen, an dem Damm, den Franklin für Eleanor gebaut hatte. Der Bach plätscherte munter und unermüdlich zu unserer Rechten, links lag ernst und still der Teich mit den Lilien.
Matt lehnte sich ans Geländer der Brücke. »Es haut mich um, wie viel sie geleistet haben. Diese wahnsinnige Produktivität«, sagte er kopfschüttelnd. »Es kam mir vor, als würde ich in eine Epoche zurückversetzt, in der Größe nicht von dem abhing, was man besaß, sondern von dem, was man tat .«
Ich stand neben ihm, starrte aufs Wasser und wusste, dass ich mich meinem Projekt auf eine ganz neue Art widmen musste. Die Roosevelts hatten sich dem Dienst an der Allgemeinheit verschrieben, und ich rannte nackt durch die Korridore von Mietshäusern und nahm Stripunterricht. Offenbar wurde es Zeit, dass ich mir seriösere Herausforderungen aussuchte. Und dabei vielleicht ein wenig über meine persönlichen Interessen hinausging. Es war noch nie vorgekommen, dass ich anderen Leuten etwas wahrhaftig Nützliches oder Wichtiges gegeben hatte.
»Indem man etwas Nützliches tut, rechtfertigt man gewissermaßen die eigene Existenz«, sagte Eleanor.
Als ich wieder zu Hause war, gab ich im Internet die Suchbegriffe New York und ehrenamtlich ein. Die erste Website, die erschien, gehörte einem örtlichen Krankenhaus, das Freiwillige suchte. Perfekt. Eleanor übte schon als Kind ehrenamtliche Tätigkeiten aus, wenn sie ihre Tante Gracie begleitete, die behinderte Kinder in einem Krankenhaus in Manhattan besuchte. Am Ende des Ersten Weltkriegs besuchte sie einmal pro Woche das Marinekrankenhaus in Washington D. C. und schenkte den Gefangenen Blumen, Schokolade und aufmunternde Worte. Wie sie später sagte, lernte sie etwas sehr Wichtiges aus diesem Kontakt zu verwundeten Soldaten: »Ich bekam Mitleid mit dem Menschen an sich und stellte mir zum ersten Mal die Frage, was ich tun konnte.«
Ich lud mir den Antrag herunter und füllte ihn aus. Am Ende sollte man einen kleinen Aufsatz schreiben zum Thema »Warum wollen Sie ehrenamtlich im Krankenhaus helfen?« Ich tippte rasch zweihundert Wörter: »Mein dreißigster Geburtstag rückt näher, und wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückschaue, schäme ich mich für das, was ich da sehe. Mir fallen nicht die Dinge ins Auge, die ich getan habe, sondern solche, die ich nicht getan habe. Wie ist es bloß möglich, dass ich seit fast dreißig Jahren durch die Welt renne und nichts getan habe, um anderen Menschen zu helfen? Wenn ich später einmal auf mein Leben zurückblicke, möchte ich eine Person sehen, die das Leben anderer besser gemacht hat …« Ich druckte den Aufsatz aus und las ihn noch einmal durch. War das zu dick aufgetragen? Bevor ich es mir anders
Weitere Kostenlose Bücher