Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
Tennisfan mittleren Alters gerade mitteilte, dass ich Bergsteigen gehen sollte.
Als ich wieder zu Hause war, setzte ich mich vor den Computer meiner Eltern, um mehr über den Kilimandscharo herauszufinden, zum Beispiel, auf welchem Kontinent er überhaupt lag. Antwort: Afrika. Ich war Afrika noch nie näher gekommen als bei meiner »It’s a Small World«-Fahrt in Disneyland.
Mr. Valby hatte recht. Für den Kilimandscharo brauchte man keine Erfahrung mit Bergexpeditionen. Allerdings stritt man sich, wie schwierig die Besteigung letztlich war. Wenn man die Beschreibungen der Wanderer hörte, die ihn bestiegen hatten, kam man sich vor, als würde man Republikaner und Demokraten befragen, was sie vom derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten hielten. Die eine Hälfte bezeichnete die Besteigung achselzuckend als längeren Spaziergang. Verstörend viele hatten ihn in ihren Flitterwochen bestiegen. Andere behaupteten, es sei körperlich wie mental das Anstrengendste gewesen, was sie jemals gemacht hatten. Über 25 000 Personen versuchten es jedes Jahr, aber nur 40 Prozent erreichten den Gipfel. 15 000 drehten vorher um. Diese Zahlen brachten mich ins Grübeln. Dieser Berg schien ja doch einer ganzen Reihe von Leuten gezeigt zu haben, wo der Hammer hängt. Verrannte ich mich da in etwas, woran ich nur scheitern konnte? Oder sogar Schlimmeres?
Der Kilimandscharo bot eine spannende und abwechslungsreiche Palette an Todesarten: Malaria, Typhus, Gelbfieber, Hepatitis, Meningitis, Polio, Tetanus und Cholera. Gegen die konnte man sich freilich impfen lassen. Aber es gab keine Spritze, die einen vor dem Nebel schützte, der manchmal so schnell über einen hereinbrach und dicht war wie eine Wolke. Einer der Wanderer schrieb online: »Zu Mittag […] war der Nebel so dick, dass ich nicht wusste, was ich aß, bevor ich es im Mund hatte. Und selbst dann musste ich noch raten.« Wenn die Sichtweite gleich null war, gerieten die Leute vom Weg ab und starben an Unterkühlung. Doch auch an einem klaren Tag konnte man auf einen losen Stein treten und vergnügt seinem Ableben entgegenschliddern. Manchmal kam der Berg auch zu den Wanderern. Im Juni 2006 fielen drei amerikanische Kletterer einem Bergrutsch zum Opfer, der sie mit 200 km/h erfasste. Einige dieser Felsen hatten die Größe eines Autos, und die Wissenschaftler vermuteten, dass sie vorher von Eis an Ort und Stelle gehalten worden waren, das jetzt jedoch im Zuge der globalen Erwärmung abschmolz. Zu guter Letzt war da noch der Erfrierungstod: Die Temperaturen konnten nachts unter den Gefrierpunkt fallen. Und dann stolperte ich über noch so eine herzerwärmende Einzelheit bei meiner Recherche:
»Mit seinen 5895 Metern ist der Kilimandscharo der höchste Berg Afrikas und zugleich der größte Vulkan der Welt. Obwohl er als inaktiv gilt, hat sich der Kilimandscharo in letzter Zeit wieder geregt, und es gibt Hinweise, dass ein massiver Bergrutsch die Flanke des Berges aufreißen und einen kataklysmischen Strom aus heißen Gasen und Felsen freisetzen könnte, ähnlich wie beim Mount St. Helena.«
Ein Vulkan? Gibt’s so was heute denn überhaupt noch?
Doch die schlimmste Bedrohung ging sicherlich von der Höhenkrankheit aus. So etwas passiert, wenn man zu schnell aufsteigt. Die Symptome können ganz harmlos sein – Übelkeit, Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen. Schlimmstenfalls erleidet man jedoch ein Lungenödem, bei dem sich die Lungen mit Flüssigkeit füllen (als würde man an Land ertrinken), oder ein Hirnödem, bei dem das Gehirn anschwillt. 80 Prozent der Wanderer bekamen die Höhenkrankheit. 10 Prozent von diesen Fällen nahmen lebensbedrohliche Formen an oder verursachten Gehirnschäden. 10 Prozent von 80 Prozent? Diese Zahlen wollten mir gar nicht recht gefallen. Vielleicht war diese Tour wirklich zu gefährlich. Meine Augen brannten, weil ich schon so lange vor dem Bildschirm saß, also fuhr ich den Computer herunter.
Ich ging ins Zimmer meiner kleinen Schwester, die gerade zu einem auswärtigen Schwimmwettkampf gefahren war, und sah mich um, in der Hoffnung auf eine zündende Idee, was ich ihr zu Weihnachten schenken könnte. Die Wände waren seit meinem letzten Besuch hellblau gestrichen worden, und überall hingen Fotos von Freunden, die ich nicht kannte. Jordan war ein Nachzügler gewesen, ganze fünfzehn Jahre nach mir kam sie zur Welt. Ich war mit im Kreißsaal gewesen, als sie geboren wurde, und hatte sogar die Nabelschnur durchgeschnitten (mein
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