Wer nichts weiß, muss alles glauben (German Edition)
Und wenn er gerade niemanden anderen tötet, dann bringt er sich oft selbst um. Nach einer Meldung der EU-Kommission aus dem Jahr 2005 verüben im EU-Raum jährlich 58.000 Menschen Suizid. Durch Selbstmord sterben laut Statistik zehnmal so viele Menschen wie an Gewaltverbrechen. [47] Als Freitod sollte man eine Selbsttötung allerdings nicht bezeichnen, denn der Begriff Freitod setzt den freien Willen als Möglichkeit der Selbstbestimmung des Menschen voraus, und das wird in der Psychiatrie in diesem Zusammenhang abgelehnt. Menschen, die ernsthaft vorhaben, sich umzubringen, gelten in ihrer Entscheidungsfähigkeit als stark eingeschränkt. Männer bringen sich deutlich öfter um als Frauen. Die Erfolgsquote liegt bei Männern zwischen 30 und 40 Jahren angeblich unter anderem deshalb um so viel höher, weil ein Selbstmord in ihrem Fall zumeist kein Hilferuf ist, sondern weil sie wirklich vorhaben zu sterben und sich sehr gewissenhaft und erfolgreich mit der Durchführung der Selbsttötung beschäftigen. Bis zum 40. Lebensjahr ist Depression diesbezüglich die Todesursache Nummer eins.
Werner Gruber hat sich als Neurophysiker jahrelang mit der Krankheit Depression beschäftigt. In seinem Büro hat er dazu Teile des menschlichen Gehirns simuliert. Gut, das machen viele im Büro, aber er hat, wie einige seiner Kollegen auch, Depression als Computermodell simuliert. Quasi ein depressives Computerprogramm programmiert. Fragt man sich, wer so was braucht, und ob es Freeware ist oder Shareware. Tatsächlich sind solche Computersimulationen aber sehr vorteilhaft, nicht nur, weil die Ethikkommission aus guten Gründen verbietet, Menschen zu Versuchszwecken die Schädeldecke abzuheben, zu schauen, was das Gehirn so macht, und dann die Schädeldecke wieder zu schließen.
Wie kann man sich den Alltag des Neurophysikers Werner Gruber und seines depressiven Computerprogramms vorstellen? Denkt sich das Programm in der Früh, wenn Werner Gruber ins Büro kommt: Pff, schon wieder der Dicke, muss ich schon wieder hochfahren? Nein. Denn Depression hat nichts mit schlechter Laune zu tun. Wenn man schlecht aufgelegt ist, ist man schlecht aufgelegt. Depression hat mit der Unfähigkeit zu tun, Entscheidungen zu treffen. Schon das Bett in der Früh zu verlassen, kann bei einer starken Depression eine unlösbare Aufgabe darstellen. Und die Arbeit des Neurowissenschaftlers ist deshalb auch nicht zu Ende, wenn sich das Computerprogramm aufhängt, sondern erst wenn alle Rätsel rund um die Krankheit Depression gelöst sind. Und da schaut es mittlerweile erfreulicherweise nicht schlecht aus.
Depression
Plutarch hat das Krankheitsbild der Depression als Erster beschrieben. Es ist gekennzeichnet durch:
• Gefühl der Niedergeschlagenheit (bei Tod eines Verwandten, räumlicher Trennung von einer geliebten Person ...)
• Empfindliche Störung der Selbstachtung (Arbeitslosigkeit, Sitzenbleiben in der Schule ...)
• Verlust des Interesses an sozialen Kontakten und alltäglichen Dingen
Meist entwickelt sich eine Depression aus einer depressiven Verstimmung. Tritt ein einschneidendes Ereignis auf, kann dies zu einer depressiven Verstimmung führen, die sich wiederum zu einer ausgewachsenen Depression entwickeln kann. Möglich ist aber auch, dass eine Depression von einem Moment zum anderen auftritt – meist über Nacht. Wie unterscheidet man aber zwischen einer depressiven Verstimmung und einer Depression? Beides ist gleich schwer, allerdings dauert eine depressive Verstimmung rund drei Monate, während Depressionen bedeutend länger dauern können.
Aktuell leidet rund ein Prozent der Bevölkerung an einer Depression, rund zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung hatten mindestens einmal in ihrem Leben eine Depression. Sie ist damit eine der häufigsten psychischen Erkrankungen. Rund die Hälfte aller Patienten und Patientinnen erleidet einen einmaligen Schub, der im Durchschnitt fünf Monate dauert. Schübe mit mehr als einem Jahr sind eher selten.
Es gibt Fälle, bei denen die Depression für ein paar Wochen auftritt, man spricht dann von einem Schub, dann über Nacht für ein paar Tage oder auch Wochen verschwindet, um dann erneut aufzutreten. Die Depression tritt phasenweise auf. In den nicht depressiven Phasen kann der Patient einerseits normal sein, andererseits kann es auch zu einem anderen Phänomen kommen: der Manie. Der Patient ist in Hochstimmung, energiegeladen und sehr optimistisch. Diese scheinbar positiven Eigenschaften können
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