Wer nichts weiß, muss alles glauben (German Edition)

gestiegene Löhne in den Städten wurde die urbane Entwicklung beschleunigt, der Lebensstandard stieg allgemein an, und letztlich wurde in England als erstem Land die Leibeigenschaft aufgehoben. Die Kirche war nach der Epidemie zwar reicher, weil sie viel geerbt hatte, aber durch die Hilflosigkeit der Seuche gegenüber nicht mehr so unanfechtbar wie davor, und zudem bewirkten die gestiegenen Kosten für Arbeit eine Mechanisierung, also das, was man heute einen Innovationsschub nennen würde. Wenn sich heute in einem modernen Staat niemand mehr vor einem Gottesurteil fürchten muss, wenn er nicht will, so ist das indirekt genauso der Pest zu verdanken, wie wenn sich einer Ihrer Arbeitskollegen heute aufs Smartphone eine Applikation herunterlädt, die elektronisch ein Furzkissen simuliert.
    Und eine Furzkissenapplikation ist noch harmlos im Vergleich zu dem, was man mit einem Mobiltelefon noch alles machen kann. Beispielsweise eine Kofferbombe fernzünden. Womit wir – Sie haben es erraten – beim Menschen angelangt sind und seiner bemerkenswerten Fähigkeit, die Welt und seine Mitmenschen mit Gewalt zu überziehen.
    Warum die Menschheit so gewalttätig ist, ist bis heute nicht ganz geklärt.
     
    So wie es aussieht, gibt es auch keine einzelne Ursache, warum manche Menschen gewalttätig werden. Psychologen haben festgestellt, dass bei männlichen Jugendlichen im Alter zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr antisoziales Verhalten durchaus normal ist. Das gehört so, man nennt es Pubertät und damit müssen vor allem die Eltern leben oder schwächere Schulkollegen und normalerweise sollte sich das spätestens bis zur Volljährigkeit wieder legen. Erwachsene Gewalttäter beginnen damit schon mit dem fünften Lebensjahr. Auffällig werden vor allem die Buben, weil sie zu körperlicher Gewalt neigen, was man gut sehen kann. Interessanterweise sind auch die Mädchen nicht zu unterschätzen, sie bevorzugen aber eher eine psychologische Kriegsführung. Dabei sind sie dann mitunter unerbittlich, was allerdings als juristischer Tatbestand nur schwer zu fassen ist. Man kann sagen, Mädchen sind besser geeignet für Mobbing.
    Der Begriff Mobbing stammt übrigens aus dem Tierreich, aus der Vogelkunde, und heißt auf Deutsch hassen . Mobbing ist, wenn kleinere Vögel einen Fressfeind entdecken, etwa Spatzen einen Bussard, der die kleineren Vögel angreifen will, diese aber gemeinsam versuchen, den Bussard durch Alarmschreie und Scheinattacken fertigzumachen, sodass er die Jagd aufgibt. Möwen erbrechen in so einem Fall oft auch noch ihren Mageninhalt aufs Mobbingopfer. Beim Menschen heißt das dann allerdings nicht mehr Mobbing, sondern Betriebsausflug oder Weihnachtsfeier.
    Man hat festgestellt, dass Gewalttäter ab dem fünften Lebensjahr mehrere Attribute zeigen: niedrige Frustrationsschwelle, Defizite beim Erlernen sozialer Regeln, extrem impulsives Verhalten, mangelnde Intelligenz, Aufmerksamkeitsdefizite. Kurz gesagt, die Kontrolle über das eigene Verhalten ist ausgeschaltet. In zahlreichen Tests konnte man zudem feststellen, dass meist auch eine Schädigung des Frontalhirns vorliegt. Das Frontalhirn ist der Bereich im Gehirn, wo bewusste Entscheidungen getroffen werden, etwa die, nicht zuzuschlagen. Das deckt sich mit der Theorie, nach der sich Patienten mit Schädigung des Frontallappens enthemmt zeigen und unangemessen und impulsiv reagieren. Allerdings sind sie in der Regel nicht gewalttätig.
    Eine interessante Unterscheidung trennt übrigens erfolglose Psychopathen von erfolgreichen . Erfolglose Psychopathen hatten keine intakte Impulskontrolle, ihre Straftat war nicht überlegt und sie wurden erwischt. Bei erfolgreichen Psychopathen, die Straftaten begingen, aber nicht entdeckt wurden – und die sich etwa bei Befragungen zu einer Studie über ihre Taten äußerten –, stellte man keine Schädigungen fest. Aber bei beiden fand man eine Störung der Mutter-Kind-Beziehung, oftmals Missbrauch und Misshandlungen während der Kindheit, Vernachlässigung und auch Armut. Das bedeutet, dass Gewalt, ähnlich wie der Glaube, nicht angeboren sein dürfte, sondern ein soziales Phänomen.
     
    Unter anderem seine Aggression hat den Menschen dorthin gebracht, wo er heute steht, nämlich an der Spitze der Nahrungskette, aber sie könnte ihm auch zum Verhängnis werden. Laut der sogenannten Ungeziefertheorie sind wir nämlich unsere eigenen Totengräber. Die Theorie besagt, dass eine technische Zivilisation auf irgendeinem Planeten,