Wer nie die Wahrheit sagt
anderem ein wunderschöner Grabstein aus weißem Marmor, mit einem Engel darauf, der die Arme weit ausgebreitet hatte. Beths Name stand darunter, ihr Geburts- und ihr Todesdatum und darunter die Worte: »Du gabst mir unendliche Freude.«
Lily weinte lautlos. Simon sah, wie sie auf die Knie sank und die Narzissen an den Grabstein lehnte.
Er hätte sie gerne getröstet, erkannte dann aber, dass sie in Momenten wie diesen allein sein musste. Deshalb wandte er sich ab und ging zurück zum Mietwagen. Sein Handy klingelte.
Es war Clark Hoyt, und er war aufgeregt.
21
SAINT JOHN’S, ANTIGUA
Es gab auf Antigua nichts mehr zu tun für Savich. Timmy Tuttle hatte, mit zwei gesunden Armen, Marilyn entführt, und Savich wollte nicht mal dran denken, was er ihr wohl antun würde.
Oder vielleicht war sie ja von zwei unterschiedlichen Menschen entführt worden, einem Mann mit wildem Blick und schwarzen Haaren und zwei Armen und einer Frau mit nur einem Arm und Wut und Irrsinn in den Augen.
Savich konnte sich selbst nicht mehr ertragen. Er hatte Marilyn in die Falle geführt, eine FBI-Agentin in den Tod, dazu noch den jungen Polizeibeamten. Er hatte ein Chaos angerichtet. Ihm war klar, dass er Virginia Cosgroves leere Augen eine lange, lange Zeit nicht mehr würde vergessen können und auch nicht den roten Schnitt in ihrem Hals, aus dem all das Blut gesprudelt war.
Jimmy Maitland ergriff ihn am Arm, versuchte ihn zu beruhigen. »Jetzt reißen Sie sich mal zusammen, Savich. Ich habe all Ihre Maßnahmen persönlich gutgeheißen. Wir hatten es mit etwas oder jemandem zu tun, der nicht hätte hier sein sollen. Es ist nun mal passiert. Sie müssen das hinter sich lassen und nach vorne schauen.«
Maitland schüttelte den Kopf und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die ergrauten Haare, wodurch sie in alle Richtungen abstanden. »Herrgott, ich werde noch verrückt. Hier können wir nichts mehr tun. Wir fliegen zurück. Ich lasse Vinny Arbus und sein SWAT-Team hier. Sie werden nach Marilyn suchen und die örtliche Polizei beraten. Dieses Durcheinander, Savich, das wird sich mit der Zeit schon aufklären. Es gibt eine Erklärung, das muss es einfach.«
Savich ließ Sherlock nicht aus den Augen. Er merkte schon bald, dass sie anders war – stiller, mit den Gedanken woanders. Wenn er sie anschaute, wusste er, dass sie über das nachdachte, was passiert war; ihr Blick war nach innen gerichtet, in weite Ferne.
Es gab so viel aufzuräumen, so viele Erklärungen abzugeben, wobei sie die unerklärlichen Phänomene zumeist ausließen, weil es auch nichts half, etwas zu wissen, was einen doch nur verrückt machte. Und, was am wichtigsten war, es gab keine Spur von dem Mann, der Marilyn Warluski aus dem Saint John’s Airport entführt hatte.
Als sie wieder in Washington waren, ging Savich als Erstes ins Fitnessstudio und rackerte sich dort ab, bis er nach Atem rang und so erschöpft war, dass sein Körper um Hilfe schrie.
Als er die Haustür aufmachte, so erledigt, dass ihn jeder Schritt Anstrengung kostete, tauchte sein Sohn auf, um ihn zu begrüßen. So schnell es seine Beinchen hergaben, krabbelte er zu Savich und hielt sich an seinen Hosenbeinen fest. Savich wollte sich gerade bücken, um ihn hochzuheben, da hörte er Sherlock sagen: »Nein, warte noch eine Sekunde.«
Sean zerrte energisch an den Hosenbeinen seines Vaters, bekam einen festen Griff und zog sich dann, langsam, langsam hoch. Dann grinste er zu seinem Vater hinauf und hob erst ein Bein, dann das andere.
Auf einmal fielen all die unlösbaren Fragen, das schreckliche Gefühl, versagt zu haben, alles fiel von ihm ab. Savich stieß einen Jubelschrei aus, hob seinen Sohn hoch und warf ihn in die Luft, wieder und wieder, bis dieser erst brüllte und dann lachte.
Savich war es, der Seans Leistung an diesem Abend in sein Babybuch eintrug. »Ein beinahe großer Schritt für die Kindheit«, dann »die Art, wie er erst das eine, dann das andere Bein hebt – er fängt an zu laufen, erstaunlich. Seine Großmutter sagt, ich hätte auch schon recht früh zu laufen angefangen.«
Als sie an diesem Abend im Bett lagen, kuschelte Sherlock ihren Kopf an Savichs Hals, legte behutsam ihre Hand auf sein Herz und sagte: »Sean macht einem wieder bewusst, was wirklich wichtig ist, nicht?«
»Ja. Ich war am Umfallen von meinem Workout, und da kommt er angekrabbelt und zieht sich an mir hoch. Dann hebt er ein Bein und dann das andere, probiert sie aus. Er ist fast bereit für den
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