Wer nie die Wahrheit sagt
nicht länger vor ihr zu fürchten brauchte.
»War Tammy schon mal in der Karibik?«, fragte Savich weiter.
»Ja. Sie und Tommy sind vor ein paar Jahren auf den Bahamas gewesen. Im Frühling, glaub ich.«
»Haben sie die Ghule dorthin mitgenommen?«
Marilyn runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Sie wissen nicht, ob sie jemanden getötet haben, als sie dort waren?«
»Ich hab Tommy gefragt, aber der hat bloß gelacht und gelacht. Das war, kurz bevor er mich schwanger gemacht hat.«
Savich nahm sich vor, zu überprüfen, ob in dieser Zeit dort irgendwelche besonders grausamen, ungelösten Morde geschehen waren.
»Hat Tammy, abgesehen von den Bahamas, noch irgendwelche anderen Orte in der Karibik erwähnt? Eine Insel vielleicht, die sie sich gerne ansehen würde?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Denken Sie nach, Marilyn. Ja, genau, entspannen Sie sich, legen Sie den Kopf zurück, und denken Sie nach. Erinnern Sie sich an all die Male, wo Sie sie gesehen haben.«
Es war lange still, dann sagte Marilyn: »Sie hat mal gesagt – das war an Halloween, und sie hatte sich als Vampir verkleidet –, dass sie gern nach Barbados fahren und den Kindern dort einen Mordsschrecken einjagen will. Dann hat sie gelacht. Dieses Lachen vergesse ich nie, Mr. Savich. Genauso hat Tommy nach den Bahamas gelacht.«
»Hat sie je erzählt, was die Ghule mit den Kindern anstellen?«
»Einmal, als sie Timmy war, hat sie gesagt, sie würden sie einfach auffressen.«
»Aber die Ghule fressen sie doch nicht, oder? Sie nehmen sich vielleicht einen Arm, ein Bein?«
»Ach, Mr. Savich, das machen sie nur, wenn sie satt sind und bloß mal probieren wollen. Aber sicher weiß ich’s nich, weil’s mir Tommy und Tammy nie wirklich gesagt haben.«
Savich war ganz schlecht. Herrgott, meinte sie wirklich das, was er vermutete? Dass es Jungen gab, die einfach verschwunden waren und nie wieder auftauchen würden, weil die Tuttles sie verspeist hatten? Waren sie Kannibalen? Ohne es zu merken, rieb er sich die Arme, weil es ihm eiskalt über den Rücken gelaufen war.
Er warf einen Blick auf Dr. Hicks. Dessen Gesicht war ganz rot, und er sah aus, als wäre auch ihm speiübel.
Savich berührte sie leicht am Unterarm und sagte: »Danke, Marilyn, Sie waren uns eine große Hilfe. Wenn Sie wählen könnten, was würden Sie dann mit Ihrem Leben anfangen?«
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Ich würde gerne Schreinerin werden. Wir haben mal fünf Jahre im selben Haus gewohnt, und der Nachbar war Schreiner. Hat Schreibtische, Tische und Stühle und all so was gemacht. Hab viel Zeit mit ihm verbracht, hat mir alles beigebracht. Natürlich hab ich ihn so bezahlt, wie er’s wollte, und das hat ihm mächtig gefallen. In der Highschool haben sie mir gesagt, ich bin ein Mädchen, und Mädchen machen so was nich. Und dann hat Tommy mir ein Kind gemacht und es dann umgebracht.«
»Bloß noch eine Frage. Hatte Tammy die Absicht, Sie aus der Karibik anzurufen?« Das hatte er sie schon einmal gefragt, aber er wollte sehen, ob sie unter Hypnose noch etwas hinzufügte, denn nun hatte er einen Plan.
»Ja. Sie hat nich gesagt, wann, bloß dass sie’s irgendwann würde.«
»Wie wollte sie Sie finden?«
»Sie wollte bei meinem Freund Tony in Bar Harbor anrufen. Ich glaube, er will mich nich mehr. Er sagt, wenn die Bullen hinter mir her sind, dann verduftet er.«
Savich hoffte, dass Tony nicht zu bald verduften würde. Noch wohnte er dort, arbeitete als Automechaniker bei Eds European Motors. Er würde sich noch mal mit den Agenten vor Ort in Verbindung setzen, um sicherzugehen, dass sie ihn auch ja im Auge behielten, ihm vielleicht sogar ein paar Wanzen unterschoben. Jetzt hatten sie endlich was Konkretes. Einen Anruf von Tammy.
»Danke, Marilyn.« Savich erhob sich und stellte sich neben die Tür. Er sah zu, wie Dr. Hicks sie sanft zurückholte, hörte zu, wie der Arzt leise auf sie einsprach, sie beruhigte, Savich schließlich zunickte und sie, den Arm um ihre Schulter gelegt, aus dem Zimmer führte.
Savich sagte: »Zeit fürs Mittagessen, Marilyn. Wir essen hier oben, nicht in der großen Cafeteria. Es ist gleich dort hinten, am Ende des Gangs.«
»Ich hätt schrecklich gern ’ne Pizza, Mr. Savich, mit viel Peperoni.«
»Die kriegen Sie. Hier oben sind sie berühmt für ihre Pizza.«
EUREKA, KALIFORNIEN
Simon war sauer. Er hatte Lily nach Washington zurückgeschickt. Sie war so sauer gewesen wie er jetzt, aber schließlich
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