Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Mit einem Schwung zog sie sich hoch. Ein leises Klack machte es, als ihre Schuhe auf den Schindeln auftraten. Emma hielt die Luft an und horchte. Achim schaute zu ihr hoch, er hatte seine Hände vor den Mund geschlagen. Die Schindeln waren nass und glatt, und Emma schob sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Endlich hatte sie den First des Vordaches erreicht und schwang ein Bein darüber. Langsam robbte sie so zum Fenster. Sie meinte, Stimmen zu hören, und presste ihr Ohr an das kalte Blei der Einfassungen.
Ein Scharren und Poltern war zu hören, als rücke jemand Möbel. Sie hörte Gesine Lorenz fluchen, als habe sie sich wehgetan, dann drang ihre Stimme klar zu ihr:
»Christian, das bist du doch gar nicht. Das hat er dir doch eingebrockt. Willst du denn immer noch nach seiner Pfeife tanzen?«
»Mach weiter. Hol es raus, Gesine.«
»Aber er hat dich betrogen, er hat dich von Anfang an belogen und …«
Emma hörte ein Rascheln, etwas fiel zu Boden, und dann schrie Eichwald:
»Jetzt mach endlich, du verdammte Fotze!«
Emma versuchte, durch das farbige Glas des Kirchenfensters zu sehen. Irgendetwas schien vor dem Ausguck zu stehen. Eine Weile war nur Geraschel zu hören, dann sagte die Lehrerin wieder etwas. Ihre Stimme klang zittrig, aber sie redete.
»Eigentlich komisch, dass du nicht auf diesen Ort gekommen bist, Eichwald. Was habt ihr früher hier versteckt, du und Lukas? Zigaretten? Pornoheftchen?«
»Pornos? Hier hatte Lukas die Springerstiefel gelagert, und die CD s und Klamotten für die anderen. Der hat doch schon damals gut daran verdient.«
»Hilf mir mal. Und leg das Ding weg, du willst mich doch nicht wirklich erschießen, oder?«
»Sei dir da nicht zu sicher.«
Emma hörte Schritte, dann ein Scharren, als zöge jemand etwas Schweres über den Boden. Keuchend sagte die Frau:
»Er hat mir erzählt, dass du erst gar nichts von den Rechten wissen wolltest. Wie er dich überredet hat, da mitzukommen.« Eine Pause, in der nur das schwere Atmen zu hören war. Dann wieder die Frauenstimme:
»Er konnte es nicht ertragen, wie gern dich der Pastor hatte.«
Eichwald brummte:
»Was weißt du schon von damals.«
Er wollte verächtlich klingen, aber etwas anderes schwang im Ton mit – Traurigkeit. Sie hat den wunden Punkt erwischt, dachte Emma und rückte noch einen Zentimeter näher an das Glas. Die Stimme der Frau war jetzt ruhiger. Sie musste Eichwald sehr nah gekommen sein.
»Er war eifersüchtig auf dich. Er hat aus dir einen Nazi gemacht und gehofft, dass sein Vater dich fallen lassen würde. Aber das hat er nicht getan. Der Pastor hat um dich gekämpft. Also hat Lukas dich nach dem Überfall auf die Zionskirche verpfiffen. Stasiknast und dann Abschiebung in den Westen.«
Emma hörte ein Keuchen, Schritte, dann klang es, als falle ein Körper zu Boden. Die Frau japste nach Luft, er stieß sie gegen Holz und schrie:
»Ach ja? Habt ihr zusammen gelacht über den Idioten, der sich alles gefallen lässt?«
Schläge klatschten, die Frau schrie auf vor Schmerz.
»Hat er dir auch erzählt, was sie mir damals angetan haben, im Knast? Wie sie mich gequält haben? Nee, davon wusste er ja nichts, der saubere Lukas. Vor mir hat er gelegen und gewinselt, Rocco hat ihn halb tot geprügelt und er wollte immer noch sagen, wo’s langgeht, aber nicht mit mir, nicht mit mir, nicht mit mir …«
Emma hörte nur noch das Klatschen auf Fleisch, die Frau gab keinen Ton mehr von sich. So schnell sie sich traute, rutschte sie die glatten Schindeln bis zur Dachrinne herunter und rief leise nach Achim.
»Was?«
Er stand noch immer direkt unterhalb des Eingangs. Der Wind hatte etwas nachgelassen, und die Wolkendecke war aufgerissen. Im trüben Licht des Mondes sah Emma Achims weit aufgerissene Augen. Sie flüsterte:
»Wo ist Blume?«
Achim schüttelte den Kopf, wies aber mit dem Arm zum Nebeneingang.
»Immer noch vorn, denke ich.«
»Wir können nicht mehr warten. Der bringt die Frau um!«
Achim sah abwartend zu ihr hoch, und sie überlegte. Dann beugte sie sich runter und sagte:
»Ich werde für Lärm sorgen, drüben, gegenüber vom Seiteneingang. Dann soll Blume versuchen reinzukommen. Und sag ihm, Eichwald hat eine Waffe!«
Der Fahrlehrer nickte und verschwand hinter dem Portal. Emma kletterte wieder vorsichtig nach oben. Am Fenster horchte sie. Jemand schien dort drinnen zu wüten – Emma hörte Stöße gegen Gegenstände, etwas flatterte vom Orgelboden nach unten und landete mit einem Knall auf
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