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Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)

Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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sprach von dem herrlich langen Wochenende, was ihr wie Hohn vorkam, schließlich musste er doch arbeiten. Oder gab es Menschen, die ihre Arbeit mochten?
    Sie nahm einen Schluck von dem Kaffee und zwang sich, den Klumpen in ihrem Mund herunterzuspülen. Ihr Blick fiel auf den Heftstapel auf dem Küchentisch. Sie musste korrigieren, seit Tagen schleppte sie die Hefte durch die Wohnung. Eine Woche hatte sie gefehlt, Grippe, totale Erschöpfung, zum Glück hatte ihre Ärztin nicht weiter nachgefragt. Sie würden erwarten, dass sie die Hefte zurückgab. Warum eigentlich? Für die wenigsten gab es gute Noten, kaum einer hatte etwas in ihrem Chemieunterricht verstanden. Es langweilte sie, mit starren Augen hörten sie ihr zu, Wort für Wort ging sie den Stoff durch, trotzdem waren die Arbeiten zu schwer für sie. Woran dachten diese Kinder, wenn sie sie anstarrten und mechanisch die Modelle der Elemente in ihre Hefte übertrugen?
    Sie dachte an Marlon, wie er im Unterricht aufgesprungen war, wie er ihr bis auf den Flur gefolgt war, um sie weiter auszufragen. Sie war fasziniert gewesen von dieser Energie. Jetzt, nach seinem Tod, sagten alle, er war auf Drogen gewesen, aber sie wusste, dass es nicht stimmte. Er wollte wach sein, die Welt aufnehmen, sie verstehen und verändern. Warum soll ich mich zudröhnen, hatte er gesagt, ich habe keine Zeit dafür, es gibt zu viel zu sehen. Als hätte er geahnt, dass ihm nicht viel Zeit blieb.
    Sie seufzte wieder, stellte ihren Teller mit dem angebissenen Brot in die Spüle und zog die Hefte vor sich auf den Tisch.
    Obenauf lag die Arbeit eines Jungen, den sie heimlich Pickel-Fred nannte. Die Akne hatte ihn schon vor der Pubertät im Griff. Ein dunkler Fleck, Fett vermutlich, prangte auf dem blauen Einband, sie ekelte sich und schlug das Heft mit spitzen Fingern auf. Vorne lag ein gefalteter Zettel, darauf die Kopie eines Fotos. Der Junge saß nackt auf dem Rand einer Badewanne, in der Hand hielt er seinen erigierten Schwanz. Er lächelte schief und sah stirnrunzelnd, als müsse er sich konzentrieren, in die Kamera. Ihr Magen brannte, trotzdem konnte sie den Blick nicht von dem Foto lassen. Wieso riskierte dieses Kind, sich so auszuliefern? Nicht zu denken, was geschehen wäre, wenn ein Mitschüler das Bild gefunden hätte. Oder war es ein Test? Machten sie sich lustig über sie? Fragten sie sich, wie sie reagieren würde?
    Unter dem Bild stand in gemalten Druckbuchstaben ein kurzer Text. Sie sind die schönste Frau, die ich jemals gesehen habe, ich liebe Sie!
    Sie klappte das Heft zu, das Essen kam ihr wieder hoch, sie spürte den bitteren Geschmack im Rachen. Sie stand auf, ging zur Spüle und trank einen Schluck Wasser. Ihr Mund zitterte, und sie fühlte, dass sie kurz davor war, die Fassung zu verlieren.
    Sie wünschte, sie könnte zaubern. Sie wünschte, diese Männer würden in der Hölle schmoren.
    Sie atmete tief durch und nahm noch einen Schluck Wasser. Im Radio kamen die Nachrichten. Der Mann erzählte etwas von einem Verbrechen letzte Nacht. Jetzt sprach eine Frau. Sie sagte, der Lehrer Lukas Brinkmann sei tot in seiner Wohnung gefunden worden. Der Lehrerin fiel das Glas aus den Händen und zerbrach auf der Edelstahlspüle.

Berlin, Charlottenburg, Radiostation BerlinDirekt
    S chulenburg findet das Ganze vielversprechend.«
    Schneider warf den aufgerauchten Zigarettenstummel in eine Blechdose, schraubte den Deckel zu und wedelte kurz mit den Händen durch die Luft. Bente und Emma warfen sich einen Blick zu und grinsten. Rauchen war in den Räumen der Redaktion verboten. Nach dieser rhetorischen Geste hing der Nikotindunst noch immer schwer über ihnen. Immerhin hatte Schneider auf sein nach Rosmarin duftendes Raumspray verzichtet. Heute am Samstag war die Gefahr eines Überraschungsbesuches des Chefs unwahrscheinlich.
    Schneider nahm den Kaffee, den Bente ihm auf die Tischplatte gestellt hatte, und bedankte sich mit einem Nicken dafür.
    »Ich hab ihn genötigt, seine alten Kontakte anzuzapfen.« Der Chefredakteur nahm einen Schluck und verzog die Lippen. »Vielleicht ist der ein oder andere ja noch im Dienst.«
    Ihr Wellenleiter Gregor Schulenburg hatte als junger Reporter illegale Politikerabsprachen öffentlich gemacht und damit Mediengeschichte geschrieben. In der späten Kohl-Ära der Bundesrepublik soll er sogar Hausverbot im Kanz lerbungalow gehabt haben. Schulenburg wurde ungern daran erinnert, er sah sich heute als Manager einer Welle, die Quote machen sollte.

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