Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
Investigativer Journalismus war das Letzte, was er von seinen Leuten verlangte.
Schneider zog den Plastikdeckel von seinem Kaffeebecher und häufte mehrere Teelöffel Zucker hinein.
»Was ist mit dem Leiter der Schule? Das Schulamt können wir jedenfalls bis Montag vergessen.«
Bente zog ein unbeschriebenes Blatt aus dem Drucker und kritzelte etwas darauf.
»Ich kümmere mich darum.«
»Hat er Familie? Freunde? Rechte Kameraden?«
Emma beugte sich vor.
»Wir wissen nicht, wo er herkommt. Der Name Brinkmann taucht in Brandenburg um die 30-mal auf, und das sind nur die, die im Telefonbuch stehen.«
Bente drehte ihren Kopf zu Emma.
»Stehst du im Telefonbuch?«
»Nee, du?
»Nee.«
Schneider nahm wieder einen Schluck aus dem Kaffeebecher. Er wandte sich Bente zu.
»Schreib bitte einen Aufsager für die Nachrichten mit allem, was du weißt. Aber mit dickem Sperrvermerk! Und sprich auch noch mal mit Andreas, nicht dass uns das durchrutscht. Er darf es auf keinen Fall senden, bevor ich nicht das Okay dafür gebe.«
Schneider nahm die Zigarettenschachtel, drehte sie in seinen Händen und legte sie wieder in die Schublade. Dann sprach er zu Emma:
»Schau mal, ob wir deinen Beitrag durchgängig nehmen können. Bente soll eine neue Anmoderation schreiben, aber bitte auch mit Sperrvermerk! Dann haben die Nachrichten was zum Wechseln.«
Emma runzelte die Stirn.
»Eine neue Anmod kann ich schon auch noch schreiben.«
Schneider zog aus einem wackligen Papierstapel auf dem Tisch ein Notizbuch heraus und schlug es auf. Ohne den Blick zu heben, sagte er:
»Nee, lass das mal Bente machen, die kennt sich besser aus, was juristisch durchgeht. Du könntest die Parteien übernehmen. Versuch, jemanden an die Strippe zu kriegen, vielleicht gibt’s ein Statement.«
»Wer soll denn was sagen, jetzt am Samstag? Das ist doch total …«
Schneider unterbrach sie. Er tippte bereits eine Nummer in sein Telefon und winkte sie mit den Händen nach draußen.
»Los jetzt, hopp hopp! Versuch die Handynummern aus dem Petermann. Für morgen ist das kein Thema, aber wenn sich das bestätigt, müssen wir für Montag Töne haben. Dann ist das der Kracher.«
Bente und Emma standen auf und verließen Schneiders Büro. Seinen angenehmen tiefen Bass hörten sie noch auf dem Flur, er begrüßte jemanden launig und lachte dröhnend über eine Bemerkung. Bente warf ihren leeren Kaffeebecher in den Mülleimer auf dem Flur und ging voran in das Redaktionsbüro. Emma folgte ihr langsamer. Sie trat an den Schreibtisch des Redaktionsassistenten und fuhr den Computer hoch. Der Petermann war ein internes Telefonverzeichnis mit Nummern, die nicht offiziell bekannt, in Situationen wie dieser aber hilfreich waren. Da die Num mern vertraulich behandelt werden sollten, war das Ver zeichnis nur auf dem lokalen Speicherplatz der Redak tion abgelegt. Ursprünglich war der Petermann eine dicke schwarze Kladde gewesen, die ein Kollege Petermann, der schon lange nicht mehr dort arbeitete, vor Jahren angelegt hatte. Irgendwann war das Ganze in eine Datei übertragen worden, der Name war geblieben.
Nach einer Stunde hatte Emma drei Parteisprecher ans Telefon bekommen. Sie hatte kurze Einspieler aufgenommen und mit dem entsprechenden Vermerk in die Nachrichtenleiste geschoben. Wie erwartet waren in den Büros nur die Anrufbeantworter geschaltet. Per Handy hatte sie die Pressevertreter der SPD und der Linken erreicht. Beide kannten weder den Toten, noch wussten sie etwas von dem Mord. Da sie sich aber nicht entgehen lassen wollten, kurz vor den Landtagswahlen in den Nachrichten des größten Senders im Raum Berlin-Brandenburg zu erscheinen, waren sie zu einem generellen Statement bereit. Sie sprachen über die bevorstehenden Wahlen in Brandenburg und den Kampf der bürgerlichen Parteien gegen die erstarkende Rechte. Emma war klar, dass diese O-Töne nur bedingt zur Berichterstattung herhalten konnten, aber sollte sich der Verdacht bestätigen, dass ein rechtsradikaler Vertreter, noch dazu ein Lehrer an einer Berliner Grundschule, umgebracht worden war, dann würden auch solche lauwarmen Statements zum Einsatz kommen. Denn auch wenn eine Topmeldung in jedem Nachrichtenblock auftauchen sollte, so doch nicht im gleichen Wortlaut. Den Hörern sollte der Eindruck vermittelt werden, der Sender informiere sie umfassend und immer wieder aktuell, wenn sich auch im Grunde die Nachrichtenlage nicht veränderte. In der Regel galt ein O-Ton nach dreimaligem Senden als
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