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Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)

Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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des Altars unmöbliert.
    Emma lehnte sich an eine Säule und ließ die Tasche sinken. Die Kirche wirkte wie ein karg möbliertes Jugendzentrum, aber es gefiel ihr. Jenni hätte es vermutlich auch gemocht. Sie sah sich nach einer Kerze um, fand aber nur einen Metallständer in einem kleinen Seitenflügel, an dem noch Reste von Wachs klebten. Die Geldbox vorne am Ständer war aufgebrochen worden und knirschte leise, als Emma sie bewegte. Sie sah sich unschlüssig um, ging dann zu der Treppe, die zum Orgelboden führte, und setzte sich auf die hölzernen Stufen. Sie waren in der Mitte abgetreten und von den vielen Schritten der Menschen vergangener Zeiten glattgeschliffen. Emma starrte auf den Mosaikfußboden vor ihr. Wenn sie sich lange genug auf einen Punkt konzentrierte, wuchsen aus dem Muster die Umrisse gewaltiger Fabelwesen. Jennis Körper kam ihr in den Sinn, seit einem Jahr in der Erde. Ihre Freundinnen gingen heute vermutlich auch zum Sport und tuschten sich die Wimpern, wie Bentes Töchter es taten. Sie sah Jenni vor sich, wie sie bei dem Anblick spöttisch den Mund verzogen hätte. Nach der Vergewaltigung war ihr der Körper zum Feind geworden. Die Fohlenbeine versteckte sie in den ausgebeulten Jeanshosen ihres Vaters, ihr Haar färbte sie schwarz und ließ es verfilzen. Emma lehnte sich an die kalte Steinwand. Ihr entfuhr ein Stöhnen, ohne dass sie es merkte. Sie hatte versucht ihr zu helfen und das Gegenteil erreicht.
    Nach einer Weile fuhr sie sich mit den Händen über die Wangen und stand auf. Sie nahm ihre Tasche und ging schnell quer durch das Kirchenschiff zur Seitentür. Ihre Schritte hallten auf dem steinernen Boden.
    Die Tür zum Pfarrhaus öffnete sich sofort nach ihrem Klingeln. Ein schlanker älterer Mann in Cordhose und einem karierten Flanellhemd lächelte ihr entgegen. Sein dunk les Haar war spärlich, er trug es nach hinten gekämmt und offenbarte ausladende Geheimratsecken. Der Bart war mit grauen Stoppeln gesprenkelt. Emma stellte sich vor und lächelte unsicher.
    »Kommen Sie rein.«
    Der Mann trat zur Seite, öffnete die Tür weit und ließ sie hindurchgehen. Dann trat er vor die Tür nach draußen, sah sich um und blieb einen Augenblick stehen. Emma stand im Flur und beobachtete ihn. Er drehte sich zu ihr um.
    »Sind Sie allein gekommen?«
    »Ja.«
    Emmas Stimme klang zittrig. Sie räusperte sich und sagte laut:
    »Erwarten Sie noch jemanden?«
    Als Antwort drehte der Mann nur kurz seinen Kopf zur Seite und schnaubte leicht durch die Nase. Er ließ die Tür zufallen und ging ihr voraus ins Haus, vorbei an halbvollen Umzugskisten und einer leer geräumten Garderobe. Emma folgte ihm.
    Sie betraten eine Küche, in der ein Kachelofen bollerte. Obendrauf, ganz nah am Ofenrohr, schlief eine schwarzbunt gemusterte Katze auf einem zerschlissenen Vorhangstoff. Ein alter Küchentisch stand in der Mitte des Raumes. Der Mann machte eine einladende Handbewegung zur Holzbank, die halb unter den Tisch geschoben war, und fragte:
    »Möchten Sie Kaffee?«
    »Ja, gern.« Emma setzte sich und bewegte ihre klammen Zehen in den Schuhen. Ihr Blick fiel auf einen verstaubten Wandkalender aus dem vergangenen Jahr. In einem kleinen Regal standen Kochbücher und Schulhefte, vollgestopft mit Zetteln und rausgerissenen Rezeptblättern. Kein Foto vom Sohn. Kein Kreuz.
    »Sind Sie der Pastor?«
    Der Mann schraubte eine Espressomaschine auseinander und kratzte den alten Kaffeesatz in einen Mülleimer unter der Spüle.
    »Das bin ich. Besser gesagt, ich war es.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Emma hatte ihre Tasche geöffnet und holte das Aufnahmegerät heraus. Der Pfarrer drehte sich zu ihr um. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und wies mit einem Nicken in Richtung der Kirche.
    »Sie waren doch schon drüben. Die Kirche ist entweiht, und ich bin sozusagen in Rente geschickt worden.«
    Er drehte sich wieder um und füllte Kaffeebohnen in eine Mühle. »Monatelang standen die Rechten hier auf dem Platz und haben beobachtet, wer zu mir in den Gottesdienst kam. Sie haben sie sich einzeln vorgeknöpft, bis sich keiner mehr hertraute.«
    Er drückte auf den Knopf der elektrischen Mühle. In dem Lärm der Mahlgeräusche dachte Emma, ob der Pastor nicht vielleicht übertrieb. Sanken nicht überall die Zahlen der Kirchgänger?
    Der Pastor stoppte das Mahlwerk und schüttete den Kaffee in die Kanne. Ohne sich umzudrehen, sagte er:
    »Die Gemeinde hat durchgesetzt, dass die Kirche von den Jugendlichen genutzt werden darf.

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