Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
stieg in ihr auf, und sie sah sich nach Rocco Schmitz um. Bente stellte sich ihr in den Weg. Sie stemmte beide Hände in die Seiten.
»Spinnst du, mitten in der Sendung wegzulaufen? Du hast sie ja wohl nicht mehr alle!«
Emma richtete sich langsam auf. In der Hand hielt sie immer noch das, was mal ihr Arbeitsgerät gewesen war. Sie wollte etwas sagen, aber Bente kam ihr zuvor.
»Was ist das denn? Sag bloß, du hast jetzt keine Töne?«
»Er hat es kaputt gemacht.« Emma hörte sich die Worte sagen und fand, sie klang wie ein Kind, dem man das Spielzeug zerstört hatte. Bente sah sie entsetzt an, dann drehte sie sich um und ging im Laufschritt zurück zum Ü-Wagen. Emma folgte ihr.
»Was ist denn mit deinen Aufnahmen?« Bente rief über ihre Schulter: »Sag mal, bist du total bescheuert? Ich hab doch nur die Nazis!«
Sie war jetzt an der Tür des Ü-Wagens und klopfte. Zu Emma sagte sie, jetzt etwas ruhiger.
»Glaubst du, ich lasse die deutschlandweit ihre Parolen grölen?«
Emma schloss ihre Hand um die herausgebrochene Metallhülse. Der Rand bohrte sich in ihre Haut. Weiter hinten bei den Streifenwagen tauchte jetzt Blume auf. Er sah sie fragend an. Sie nickte und formte ein Okay mit den Lippen. Er lächelte und stieg in den Wagen, der in der Straße wendete und davonfuhr. Bente schlug mit der flachen Hand gegen die Beifahrertür.
»Scheiße. Wir können kein Stück machen ohne Töne!«
Manuel schob die hintere Tür des Transporters auf. Bente bat ihn, ihr das Telefon zu reichen. Der Techniker nahm das Handy und gab es ihr. Seine Hände zitterten, er sah blass aus. Vermutlich hatte er befürchtet, die Randalierer könnten den Übertragungswagen stürmen oder umwerfen. Bente wählte die Nummer des Sendebüros. Als Emma das registrierte, legte sie ihr die Hand auf den Arm.
»Was hast du vor?«
»Absagen natürlich. Wir sind schon 15 Minuten über die Zeit. Was sollten wir denn sonst machen?«
Emma verstärkte den Druck auf den Arm der Kollegin.
»Nein. Ich bring das in Ordnung.«
»Emma, die Show ist vorbei. Wo willst du denn noch Töne herbekommen?«
Emma sah sich um. Jetzt lag die Straße vollkommen leer da. Auch die Streifenwagen waren losgefahren. Zurückgeblieben waren nur zerdrückte Bierdosen, Papier von Transparenten und Flyern und der Geruch nach Schwefel und verschmortem Plastik. Alle Fenster waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen.
Das Telefon klickte, eine Stimme klang leise vom Hörer. Emma nahm den Hörer aus Bentes Hand und sagte leise:
»Ich find schon noch jemanden.«
Bente verschränkte die Arme vor der Brust und hörte zu, wie Emma mit der Redakteurin redete. In fünfzehn Minuten würde sie einen Beitrag überspielen. Als sie auflegte, sah Bente sie einen Moment schweigend an. Dann nahm sie ihre Jacke und die Tasche aus dem Wagen.
»Deine Entscheidung. Du kannst von mir die Atmo nehmen, Manuel hat sie ja auf dem Computer. Ich muss ins Funkhaus, in einer halben Stunde sind Senatsnachrichten. Wir sehen uns da.«
Sie nickte ihr noch einmal zu und verschwand im Laufschritt in Richtung U-Bahn. Emma legte ihren Schrottrekorder vorsichtig wie ein versehrtes Tier auf die Ladefläche des Ü-Wagens. Manuel nahm den Kopfhörer ab und besah sich den Schaden.
»Kannste wegschmeißen. Schöner Scheiß.«
Emma nahm das Funkgerät des Ü-Wagens und kontrollierte den Akkustand. Er reichte noch für mindestens eine halbe Stunde. Sie bat Manuel, die Aufnahme noch einmal zu starten.
»Wieso denn, ich denk, wir sollen überspielen?«
»Ich brauch noch den O-Ton. Ich beeil mich.«
Emma lief die Häuserreihe entlang. Beim Nachbarhaus blieb sie stehen, suchte am Klingelschild und klingelte bei Jawes. Keine Reaktion. Sie klingelte noch mal, diesmal länger.
»Gehense weg!«
Emma beugte sich über die Anlage.
»Frau Jawes, ich möchte nur kurz mit Ihnen reden.«
»Nee, det ist mir zu heiß.«
»Frau Jawes …«
Sie klingelte wieder, dann auch bei den anderen Nachbarn. Keiner reagierte. Sie ging weiter zum nächsten Haus, dann zum übernächsten. Wo hatte der alte Mann gewohnt?
»Es wird niemand mit Ihnen sprechen.«
Emma fuhr herum. Vor ihr stand der Mann im grauen Anzug, den sie zuvor auf der Seite des linken Protestes beobachtet hatte. Obwohl er lächelte, sah es aus, als ob er die Stirn runzelte. Er hatte eine markante Stimme, tief und ein wenig verlebt klang sie. Er schaute die Häuserreihe entlang und sagte:
»Sie haben alle Angst. So weit haben die Rechten es schon
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