Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
biss sich auf die Lippen. Blume spürte, dass sie nach Fassung rang, und fast tat sie ihm leid. Aber er war sich sicher, dass sie mehr wusste, als sie sagte. Er beugte sich über sie. Auf ihrer Wange stand ein heller Flaum, kaum wahrnehmbar. Leise sagte er an ihrem Ohr:
»Er hat noch gelebt, als er auf der Straße abgelegt wurde. Noch Stunden später hätte er gerettet werden können.«
Gesine Lorenz sah starr geradeaus. Ihre selbstsichere Verträumtheit war jetzt völlig verschwunden. Sie atmete hörbar ein, es klang wie ein Schluchzer. Blume sagte:
»Sagen Sie mir, was passiert ist. Ich glaube, Sie wissen, wo die Drogen sind. Sprechen Sie, bevor noch weitere …«
»Was Sie da sagen, ist absurd. Bitte gehen Sie.«
Blume ging wieder auf Abstand und sah die Frau prüfend an. Für einen Moment hatte er das Gefühl gehabt, sie wollte sich ihm anvertrauen. Doch jetzt stieß er wieder gegen eine Mauer der Ablehnung. Einen Augenblick standen sie sich noch wie zwei Kämpfer in einem Ring gegenüber. Dann nahm er ohne ein weiteres Wort seine Jacke und verließ die Wohnung.
Berlin, Zehlendorf
D ie Kundgebung begann zu einer Straßenschlacht auszuarten. Ströme von Menschen kamen von Norden aus der nächsten U-Bahn-Station, junge Männer und Frauen in schwarzen Kapuzenpullis, Basecaps und »Nazis nein danke«-Armbinden bliesen in ihre Trillerpfeifen oder bauten sich einander untergehakt vor den rechten Truppen auf. Frauen in weiten Röcken, Männer in Cordjacketts, Mütter mit ihren Kindern und scheinbar zufällig vorbeigekom mene Radfahrer skandierten gegen Rechts und schüttelten ihre Fäuste.
Auch die Brandenburger Truppe hatte Nachschub geordert, doch die Rechten waren zahlenmäßig trotzdem weit unterlegen. Ein paar Autos fuhren gefährlich schnell in die menschenvolle Straße hinein und blockierten den Ausgang. Sie drehten die Musik in den Autos auf und grölten ihren Gegnern die Texte entgegen. Erste Bierdosen flogen, kleinere Rangeleien am Rand heizten die Stimmung auf, der Lärm war ohrenbetäubend. Emma hielt das Mikro in die Menge und sah sich nach August um. Sie konnte ihn nirgends entdecken. Rocco Schmitz stand bei seinen Kumpels und stierte betrunken auf die Gruppe der Autonomen. Als Emma seinem Blick folgte, sah sie Blume. Er erreichte den Vortrupp der linken Gegner und redete eindringlich auf den Mann im grauen Anzug ein. Der verschränkte die Arme vor der Brust und tat so, als ob er ihm nicht zuhörte. Noch immer bildete der Mann das Zentrum des linken Protestes, mit Blicken und leisen Anweisungen schien er den Trupp zu leiten. Als er mit einem Kopfnicken mehrere Männer in schwarzen Kapuzenjacken aufforderte vorauszugehen, drängten sie sich an den Polizeibeamten vorbei. Auch Blume versuchte vergeblich, die Autonomen aufzuhalten. Der Mann im grauen Anzug lachte. Er hakte sich bei zwei Frauen unter, die sich das Gesicht bunt geschminkt hatten, und skandierte mit ihnen ihre Parolen gegen Rechts.
Plötzlich stand Bente vor Emma und fasste sie am Arm. Sie rief ihr ins Ohr:
»Raus aus der Mitte!«
Die beiden zwängten sich durch zum Ü-Wagen, dessen Seitentüren Manuel vorsorglich geschlossen hatte. Bente klopfte an das Fenster, er nickte, öffnete die Luke und reichte ihr zwei Kopfhörer raus. Bente stöpselte beide an das Funkgerät und gab einen an Emma weiter.
»Keine Zeit zum Schneiden, das machen wir später für das gebaute Stück. Jetzt kommt ein Alleingang. Du bist meine Augenzeugin. Wir bleiben bei der aktuellen Situation, keine Erklärungen. Das sollen die im Funkhaus machen.« Emma nickte, räusperte sich und gab eine kurze Tonprobe ins Mikro. Bente zog sie ein Stück hinter den Wagen, dann gab sie das Zeichen zum Start. Manuel schaltete auf das Programm, jetzt waren sie on air. Emma hörte über den Kopfhörer die Stimme der Moderatorin.
»… scheint sich mittlerweile zu einer Straßenschlacht auszuweiten. Mittendrin sind unsere Reporterinnen Bente Fügemann und Emma Vonderwehr. Könnt ihr uns einen kurzen Überblick geben, was da los ist?«
Bente begrüßte ruhig die Moderatorin und beschrieb die Situation. Sie hielt das Mikro eng an den Mund, um bei dem Lärm auf der Straße für die Hörer verständlich zu sein. Emma stellte sich quer zu ihr und schirmte sie mit ihrem Körper vor den Demonstranten ab. Keiner sollte auf die Idee kommen, die Übertragung für sich zu nutzen.
»… zahlenmäßig überlegen. Mittendrin stehen die Bewohner dieser stillen Seitenstraße und beobachten
Weitere Kostenlose Bücher