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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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unkontrollierten Wanderbewegungen und politischer Instabilität – befallen werden, in deren Folge der Stillstand in eine Abwärtsbewegung übergeht. Und wenn zu Hungersnöten, Epidemien, Migration und instabilen Verhältnissen noch eine weitere zerstörerische Kraft wie der Klimawandel (zusammen nenne ich sie die fünf Reiter der Apokalypse) hinzukommt, kann aus der Abwärtsbewegung ein katastrophaler, Jahrhunderte währender Zusammenbruch, ein Zeitalter der Dunkelheit, werden.
    Biologie und Soziologie gemeinsam erklären zu einem großen Teil die Verlaufskonturen der Geschichte – warum die gesellschaftliche Entwicklung im Großen und Ganzen angestiegen ist, warum sie manchmal schneller und dann wieder langsamer wächst und gelegentlich rückläufig ist. Aber die biologischen und soziologischen Gesetze, denen die gesellschaftliche Entwicklung unterworfen ist, sind gleichbleibende Größen, die immer und überall Gültigkeit haben. Sie sagen uns per definitionem etwas über die Menschheit als Ganzes, nicht darüber, warum es den Menschen an einem Ort so vollkommen anders geht als denen anderswo. Um das zu erklären, benötigen wir, wie ich im Laufe des Buches immer wieder zeigen werde, ein drittes Instrument: die Geographie. 3*
    Die Bedeutung des Ortes
    »Die Kunst der Biographie unterscheidet sich von der Geographie«, bemerkte der britische Schriftsteller und Humorist Edmund Bentley 1905. »Bei der Biographie geht es um Leute, in der Geographie um Landkarten.« 9 Um Leute – im Sinne der männlichen Vertreter der Oberschicht – ging es lange in den Geschichten, die Historiker erzählt haben. So beherrschend waren sie in diesen Erzählungen, dass man Geschichte und Biographie kaum noch auseinanderhalten konnte. Das |38| änderte sich im 20. Jahrhundert, als auch aus Frauen, weniger bedeutenden oder betuchten Männern und Kindern respektable Leute wurden, deren Stimme ebenfalls Gewicht hatte, aber ich will in diesem Buch noch weiter gehen. Wenn wir, so meine Argumentation, erst einmal übereingekommen sind, dass Leute (als größere Gruppen und im weiteren Sinn des Wortes) sich ziemlich stark gleichen, bleiben nur noch Landkarten.
    Viele Historiker reagieren auf diese Behauptung wie der Stier auf ein rotes Tuch. Es sei eine Sache, so sagen sie, wenn man bestreitet, dass einige wenige bedeutende Männer den unterschiedlichen Verlauf der Geschichte im Osten und im Westen bestimmt hätten; wenn man allerdings behauptet, kulturelle Werte und Überzeugungen seien vollkommen unwichtig, und die Ursache für die Vormachtstellung des Westens nur im Materiellen sucht, sei das etwas ganz anderes. Doch im Grunde ist es genau das, was ich zu tun beabsichtige.
    Ich werde versuchen zu zeigen, dass der Osten in den letzten fünfzehntausend Jahren die gleichen Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung durchlaufen hat wie der Westen, und zwar in der gleichen Reihenfolge, weil beide von der gleichen Art von Menschen besiedelt sind, die die gleiche Art von Geschichte hervorbringen. Ich werde des Weiteren versuchen zu zeigen, dass sich die Entwicklung im Westen und im Osten nicht zur gleichen Zeit und in der gleichen Geschwindigkeit vollzogen hat. Ich schließe mit der These, dass Biologie und Soziologie die weltweiten Übereinstimmungen erklären, während die Geographie die Erklärung für örtliche Unterschiede und insofern auch für die Vormachtstellung des Westens liefert.
    So unverblümt gesagt, klingt das wahrscheinlich wie das Paradebeispiel einer Langfrist-Determiniertheitstheorie, und es hat sicher Geschichtswissenschaftler gegeben, die in der Geographie genau das sehen. Die Vorstellung reicht zurück bis zu Herodot, dem Griechen, der im 5. Jahrhundert v. u. Z. gelebt hat und auch als »Vater der Geschichtsschreibung« bezeichnet wird. »Weichliche Länder pflegen weichliche Menschen zu erzeugen« 10 , sinnierte er und kam wie viele Deterministen nach ihm zu dem Schluss, sein Heimatland sei aufgrund seiner geographischen Qualitäten für Großes bestimmt. Das wohl bemerkenswerteste Beispiel solchen Denkens lieferte der Geograph und Yale-Professor Ellsworth Huntington, der um 1910 Unmengen von Statistiken zusammenstellte, um zu beweisen, dass die klimatischen Bedingungen in seiner Heimatstadt New Haven in Connecticut geradezu ideal seien, um Menschen zu Höherem zu beflügeln. (Nur in England hielt er die Voraussetzungen für noch besser.) Das »zu gleichförmig stimulierende« Klima in Kalifornien – wo ich derzeit lebe

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