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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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der Guomindang 1949 veränderte alles und verwandelte den Osten in den heißesten Brandherd des nunmehr Kalten Kriegs des Westens. Stalin ermutigte Nordkorea, in Amerikas Klientelstaat Südkorea einzumarschieren, und als das schiefging, griff auch Mao ins Kampfgeschehen ein. Als der Krieg 1953 ins Stocken kam, waren vier Millionen Menschen umgekommen (einschließlich einer von Maos Söhnen), und Guerillakriege wüteten auf den Philippinen, in Malaysia und Indochina. Die amerikanischen Stellvertreter entschieden die ersten beiden Konflikte ebenso wie den Kampf in Indonesien für sich, aber bis 1968 stand eine halbe Million Amerikaner in Vietnam – und unterlag (wenn auch der ebenso endgültige wie fluchtartige Abzug erst 1975 erfolgte).
    Diese Kämpfe waren zugleich Frontabschnitte im sowjetisch-amerikanischen Krieg des Westens und nationale Befreiungskriege, jedoch in keiner Weise eine Neuauflage des Kriegs des Ostens. China und Japan, die Großmächte des Ostens, versprachen sich nach 1945 wenig von einer Expansion. China hatte genug Probleme im Inneren, während Japan auf friedlichem Wege viele der Ziele erreichte, die es 1941 gewaltsam angestrebt hatte – eine in jeder Hinsicht ebenso befremdliche Ironie wie die Erfolge Westdeutschlands in Europa. Japan bediente sich der amerikanischen Unterstützung überaus geschickt und nutzte die Zerstörung seiner alten Industrien zu seinem Vorteil, indem es sie neu organisierte, mechanisierte und profitable Nischen für sie fand. 1969 überrundete die japanische Wirtschaft die westdeutsche und holte in den 1970er Jahren stetig gegenüber der amerikanischen auf.
    Mittlerweile spürten die USA die Belastung des an vielen Fronten geführten Kalten Kriegs. Obwohl sie mehr Bomben auf Vietnam abwarfen als auf Deutschland während des Zweiten Weltkriegs, erlitten die Amerikaner eine demütigende Niederlage und schwächten ihren Einfluss im Ausland. Die sowjetischen Stellvertreter begannen, Kriege in Afrika, Asien und Lateinamerika zu gewinnen, und selbst die Erfolge der USA zerfielen zu Staub. Ihren beharrlich von ihnen aufgebauten asiatischen Klientelstaaten ging es nun so gut, dass sie die amerikanischen Märkte eroberten, während die europäischen Verbündeten, die Amerika zu so hohen Kosten verteidigte, anfingen, von Abrüstung und Bündnisfreiheit zu sprechen. Und indem die USA Israel unter ihren Schutz stellten, trieben sie die arabischen Regierungen in die Arme der Sowjets. Nachdem Israel 1973 den Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens zurückschlug, entfesselten arabische Ölembargos und Preissprünge das neue Ungeheuer der Stagflation – Stagnation gepaart mit Inflation.
    Als Teenager im England der 1970er Jahre sprach ich mit meinen Freunden beiläufig über den kommenden Zusammenbruch Amerikas, während wir herumsaßen |517| und amerikanische Jeans trugen, amerikanische Filme sahen und amerikanische Gitarren spielten. Soweit ich mich erinnere, sah niemand von uns jemals einen Widerspruch darin. Ich bin mir zudem ziemlich sicher, dass es uns nie in den Sinn kam, dass wir beileibe nicht Zeugen des Untergangs des amerikanischen Imperiums waren, sondern unseren Teil dazu beitrugen, den Krieg des Westens für Amerika zu gewinnen. Die entscheidende Front, so sollte sich bald herausstellen, lag nicht in Vietnam oder Angola. Sie lag in den Einkaufszentren.
    Das Zeitalter des Überflusses
    »Seien wir ehrlich«, rief Harold Macmillan, der englische Premierminister, 1957 seinen Wählern zu, »den meisten Menschen bei uns ist es noch nie so gut gegangen.« 52 Die Briten mochten ein Imperium verloren und noch keine neue Rolle für sich gefunden haben, doch sie hatten, wie immer mehr Menschen auf der ganzen Welt, zumindest eine Fülle von materiellen Dingen. In den 1960er Jahren waren Luxusgüter, die noch ein Jahrhundert zuvor nicht einmal existiert hatten – Radios, Fernseher, Plattenspieler, Autos, Kühlschränke, Telefone, elektrisches Licht und (woran ich mich am besten erinnere) Plastikspielzeug–, im westlichen Kerngebiet alltäglich geworden (Abbildung 10.9).
    Manch einem erschien es wie ein Zeitalter der Vulgarität. Vororte und Satellitenstädte breiteten sich um jede Autobahnabfahrt und Ortsumgehung aus, vom amerikanischen Levittown über das britische Telford bis hin zur Gropiusstadt in Westberlin, und beleidigten mit ihrer schachtelhaften Eintönigkeit das Auge der Ästheten. Aber sie verschafften den Menschen, was sie wollten: ein bisschen Platz, sanitäre

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