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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Bomben hatten kaum einmal das Gebiet der Vereinigten Staaten erreicht. 2* Im Gegensatz dazu hatten die Verwüstungen, die von Japan in China und von den USA in Japan angerichtet worden waren, das östliche Kerngebiet gründlich demoliert, mit der Folge, dass der Zweite Weltkrieg – wie der Erste – die westliche Vorherrschaft noch stärkte. Es schien kaum einen Zweifel zu geben, dass die westliche Dominanz von Dauer sein würde – die Frage war nur, ob unter sowjetischer oder amerikanischer Führung.
    Diese beiden Imperien teilten das alte europäische Kerngebiet unter sich auf und trieben einen Keil mitten durch Deutschland. Amerikanische Finanzfachleute diskutierten in der Folge eingehend über ein neues internationales Finanzsystem für den Kapitalismus und entwarfen den Marshallplan, vielleicht das beste Beispiel für aufgeklärtes Eigeninteresse, das die Geschichte zu bieten hat. Wenn die Europäer Geld hätten, so der Hintergedanke, könnten sie amerikanische Nahrungsmittel kaufen, amerikanische Maschinen importieren, um ihre eigene Industrie wieder aufzubauen, und würden davon Abstand nehmen, ihre Stimme den Kommunisten zu geben. So schob ihnen Amerika einfach 13,5 Milliarden Dollar zu, etwa ein Zwanzigstel seines Bruttoinlandsprodukts von 1948.
    |515| Die meisten Westeuropäer griffen nach dem Geld, akzeptierten Amerikas Führungsrolle und traten einer demokratischen, marktfreundlichen Kontinentalgemeinschaft bei oder näherten sich ihr an. 3* (Die Ironie, dass die USA die Europäer mit sanftem Druck zu einer blassen Version eines Landimperiums unter der industriellen Vorherrschaft der Westdeutschen drängten, konnte eigentlich niemandem entgehen.) Die osteuropäischen Führungen beugten sich der militärischen Vormacht der Sowjetunion und schlossen sich einem kommunistischen, nach innen gerichteten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe an. Statt Ressourcen nach Osteuropa zu pumpen oder etwa auch die Demokratie zu fördern, zapften die Sowjets Ressourcen daraus an und warfen Gegner ins Gefängnis oder erschossen sie. Trotzdem erreichte die osteuropäische Produktion bis 1949 wieder Vorkriegsniveaus. In der amerikanischen Einflusssphäre lief es noch besser: Ohne nennenswerte Inhaftierungen oder Erschießungen gelang dort von 1948 bis 1964 eine Verdoppelung der Produktion.
    Das amerikanische und sowjetische Imperium waren nicht die Ersten, die sich das westliche Kerngebiet teilten, doch aufgrund ihrer Nuklearwaffen unterschieden sie sich von all ihren Vorgängern. Die Sowjets testeten 1949 eine Atombombe, und bis 1954 verfügten beide über Wasserstoffbomben mit einer 1000-fach größeren Vernichtungskraft als die Waffe, die Hiroshima ausradiert hatte – so viel gewaltiger als diese, wie Churchill in sein Tagebuch schrieb, dass sie sich davon unterschieden wie die »Atombombe selbst von Pfeil und Bogen«. 49 Ein Kreml-Bericht kam zu dem Schluss, dass ein Krieg »auf dem gesamten Planeten Bedingungen schaffen könnte, unter denen kein Leben mehr möglich ist«. 50
    Doch hinter der Atompilzwolke zeichnete sich ein Silberstreif ab. »So sonderbar es erscheinen mag«, sagte Churchill vor dem britischen Parlament, »die Universalität der potenziellen Zerstörung ist, denke ich, der Grund, weshalb wir mit Hoffnung und sogar Zuversicht in die Zukunft blicken können.« 51 Mit der Doktrin der »wechselseitig zugesicherten Zerstörung« war das Gleichgewicht des Schreckens geboren, und obwohl eine Kette angsteinflößender Fehlleistungen die Welt mehrfach an den Rand der Apokalypse brachte, trug der Westen keinen dritten Weltkrieg aus.
    Stattdessen kämpfte er einen Krieg in der Dritten Welt um die Überreste der westeuropäischen und japanischen Reiche, ausgetragen zumeist durch Stellvertreter (gewöhnlich bäuerliche Revolutionäre auf Seiten der Sowjets und brutale Diktatoren auf Seiten der Amerikaner). Dem Anschein nach hätte dies ein Heimspiel für die Vereinigten Staaten werden müssen, die nun mit noch kolosshafterem Schritt den Globus durchmaßen als die Briten ein Jahrhundert zuvor. Besonders im Osten hatte Washington scheinbar die besten Karten. Die USA pumpten eine |516| halbe Milliarde Dollar nach Japan und zogen sich einen loyalen, wohlhabenden Verbündeten an die Brust. Gestützt von großzügiger amerikanischer Hilfe, schien außerdem die nationalchinesische Armee gut gerüstet, Mao Zedongs Kommunisten zu besiegen und endlich den chinesischen Bürgerkrieg zu beenden.
    Der abrupte Zusammenbruch

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