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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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chinesische Renaissance einläuteten. Doch es gelang den Chinesen genauso wenig wie 1000 Jahre vor ihnen den Römern, die massive Decke zu durchbrechen.
    Bis zu einem gewissen Grad wiederholten sich zu Beginn des 2. Jahrtausends die Vorgänge, die den Anfang des 1. Jahrtausends gekennzeichnet hatten, nur |540| hatten Osten und Westen nun die Rollen getauscht. Mit dem Anstieg der gesellschaftlichen Entwicklung kam es zum zweiten Alte-Welt-Austausch, und wieder sprengten die fünf apokalyptischen Reiter los. Die gesellschaftliche Entwicklung war in beiden Kerngebieten rückläufig, aber im Osten ging es länger und tiefer abwärts. Im Westen hatte das höher entwickelte muslimische Kernland im östlichen Mittelmeerraum am meisten zu leiden, und um 1400 bildete sich in Westeuropa ein neues Kerngebiet heraus, das seine eigene Renaissance erlebte.
    Diese zersplitterten ehemaligen Randgebiete Europas bekamen nun ihrerseits die Vorteile ihrer Rückständigkeit zu spüren. Die Westeuropäer hatten während des zweiten Alte-Welt-Austauschs ursprünglich chinesische Techniken wie den Schiffsbau und die Herstellung von Feuerwaffen übernommen, sodass sie nun in der Lage waren, den Atlantischen Ozean als Verbindungsweg zu nutzen, wodurch die Bedeutung der geographischen Bedingungen eine neuerliche Veränderung erfuhr. Begierig, sich ihren Teil von den Reichtümern des Ostens zu sichern, stachen europäische Kapitäne in See und stießen – zu ihrer eigenen Überraschung – auf die Küsten des amerikanischen Doppelkontinents.
    Die Chinesen
hätten
Amerika im 15. Jahrhundert entdecken können (und manche Leute glauben auch, dass dies so war), aber aufgrund der geographischen Gegebenheiten war einfach die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Europäer als Erste dort ankommen würden. Im Osten war es viel lohnender, den Indischen Ozean mit all seinen Reichtümern zu befahren und in die Steppengebiete vorzudringen, von denen seit fast 2000 Jahren die größte Gefahr drohte, anstatt in die Leere des Pazifischen Ozeans vorzustoßen.
    Durch die Ausdehnung der Kerngebiete im 17. Jahrhundert veränderte sich die Bedeutung der geographischen Bedingungen grundlegender als je zuvor. Zentralisierte Machtstaaten riegelten unter Einsatz von Musketen und Kanonen den innerasiatischen Steppenschnellweg ab, der Osten und Westen miteinander verband, und brachten damit, indem sie den Wanderbewegungen der Nomadenvölker ein Ende setzten, endgültig einen der apokalyptischen Reiter um. Im Westen dagegen entstanden durch die Öffnung des Atlantischen Ozeans für den Handel mit der Neuen Welt vollkommen neuartige Märkte, und die Frage nach der Beschaffenheit der Erde verlangte nach ganz anderen als den gewohnten Antworten. Um 1700 hatte die gesellschaftliche Entwicklung wieder einmal die starre Obergrenze erreicht. Da aber nun nicht mehr die gesamte Phalanx der apokalyptischen Reiter bereit stand loszupreschen, konnte die Katastrophe so lange abgewehrt werden, bis es den westeuropäischen Unternehmern gelang, als Antwort auf die Herausforderungen des transatlantischen Handels die unglaublichen Kräfte von Kohle und Dampf zu entfesseln.
    Wäre genügend Zeit gewesen, so hätten die Dinge im Osten sicher die gleiche Richtung genommen und es hätte auch hier eine eigene industrielle Revolution stattgefunden. Doch die geographischen Bedingungen begünstigten nun einmal den Westen – und da die Menschen (als Gruppe betrachtet) überall ziemlich |541| gleich sind, hieß das, dass die Bewohner des Westens als Erste ihre industrielle Revolution erlebten. Es war also eine Frage der Geographie, dass Looty auf Balmoral und nicht Albert in Beijing endete.
    Große Menschen, Stümper und der Geist der Zeiten
    Aber was, so fragen Sie sich vielleicht, ist mit den Menschen? Auf den Seiten dieses Buches wimmelt es nur so von mächtigen Männern (und Frauen) und vertrottelten Stümpern. Spielten die alle überhaupt keine Rolle?
    Ja und nein. Wir Menschen verfügen über einen freien Willen, und die Entscheidungen, die wir treffen, verändern unsere je eigene Welt. Es ist nur so, dass die meisten unserer Entscheidungen keinen besonders großen Einfluss auf den Gang der globalen Dinge haben. Ich könnte beispielsweise hier und jetzt beschließen, dieses Buch nicht fertig zu schreiben, meine Stelle zu kündigen und mich als Jäger und Sammler durchzuschlagen. Für mich würde dann definitiv alles anders werden. Ich würde das Dach über dem Kopf verlieren, und da ich

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