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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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überleben. Einige Städte und Staaten prosperierten so gewaltig, dass auch sie sich bald mit dem Problem fehlender Ressourcen konfrontiert sahen und zu Imperien entwickelten. Diese wiederholten den Kreislauf, sodass die Ressourcen wieder unter Druck gerieten und aus Imperien Industrienationen wurden.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 11.1: Die Konturen der Geschichte – noch einmal
    Gesellschaftliche Entwicklung und deren Obergrenze im Osten und im Westen, 14   000 v. u. Z.–2000 u. Z.
    Geschichte heißt nicht, dass sich die Dinge hübsch gleichmäßig entwickeln. Vielmehr ist Geschichte das immer gleiche alte Lied, ein einziger unausweichlicher Prozess der Anpassungen an die Welt, die immer neue Probleme generieren, die wiederum Anpassungen erfordern. Ich habe diesen Prozess als Entwicklungsparadox bezeichnet: Eine ansteigende gesellschaftliche Entwicklung erzeugt genau die Kräfte, die sie selbst untergraben.
    Menschen werden täglich mit solchen Widersprüchen konfrontiert und finden Lösungen dafür, aber von Zeit zu Zeit erzeugen die Widersprüche eine massive Decke, die nur durch wirklich grundlegende Veränderungen zu durchbrechen |536| ist. Selten liegt auf der Hand, was zu tun ist, geschweige denn wie es zu tun ist, und wenn sich eine Gesellschaft dieser Obergrenze nähert, beginnt ein Wettrennen zwischen Entwicklung und Zusammenbruch. Es passiert selten – oder eigentlich eher nie –, dass eine Gesellschaft an der Decke hängen bleibt und die Entwicklung für Jahrhunderte stagniert. Vielmehr geraten, wenn sie keine Möglichkeit findet, die Decke zu durchstoßen, ihre Probleme außer Kontrolle. Dann galoppieren mindestens ein paar, wenn nicht gar alle fünf apokalyptischen Reiter, wie ich sie genannt habe, los. Am Ende drücken Hunger, Krankheiten, Migration und staatlicher Zusammenbruch – vor allem, wenn sie mit klimatischen Veränderungen einhergehen – die gesellschaftliche Entwicklung so stark nach unten, dass im schlimmsten Fall ein Jahrhunderte währendes dunkles Zeitalter folgt.
    Eine solche Obergrenze liegt bei 24 Punkten auf der Skala der gesellschaftlichen Entwicklung. Das ist das Niveau, auf dem die gesellschaftliche Entwicklung im Westen nach 1200 v. u. Z. stagnierte und dann einen Zusammenbruch erlitt. Die wichtigste Obergrenze aber, die massive Decke, liegt bei 43 Punkten. Im Westen erreichte die gesellschaftliche Entwicklung diese Punktzahl im 1. Jahrhundert u. Z. und brach dann ein. Im Osten passierte das Gleiche etwa 1000 Jahre später. Die massive Decke setzt den Entwicklungsmöglichkeiten eines Agrarreiches strikte Grenzen. Sie kann nur durchbrochen werden, indem man die gespeicherte Energie der fossilen Brennstoffe anzapft, wie es der Westen nach 1750 getan hat.
    Beide Disziplinen, Biologie
und
Soziologie, machen
zusammen
das Verlaufsmuster der Geschichte zum großen Teil begreifbar, weil sie erklären, wie die Menschen die gesellschaftliche Entwicklung vorangetrieben haben, warum sie manchmal schnell und manchmal nur langsam voranschreitet und warum sie gelegentlich sogar rückläufig ist. Aber auch als Zweispänner können Biologie und Soziologie nicht erklären, warum der Westen regiert. Um das zu erklären, bedarf es der Geographie.
    Die Beziehung zwischen geographischen Bedingungen und gesellschaftlicher Entwicklung beruht, wie ich an früherer Stelle ausgeführt habe, auf Gegenseitigkeit: Die physische Beschaffenheit eines Ortes bestimmt, wie sich die gesellschaftliche Entwicklung verändert, aber die Veränderungen in der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmen ihrerseits, welche Bedeutung die physische Beschaffenheit dieses Ortes hat. Vor 2000 Jahren war es ziemlich belanglos, ob man über einer Kohlenlagerstätte lebte, aber vor 200 Jahren begann dies eine enorme Rolle zu spielen. Der Abbau von Kohle trieb die gesellschaftliche Entwicklung so schnell voran wie noch nie – so schnell, dass sie von 1900 an von neuen Treibstoffen verdrängt wurde. Alles ändert sich, so auch die Bedeutung der geographischen Bedingungen.
    So viel zu meiner Theorie. Ich werde einen großen Teil dieses Kapitels darauf verwenden, die offenkundigsten Einwände dagegen zu erläutern, aber bevor ich |537| dies tue, halte ich es für sinnvoll, noch einmal auf die wichtigsten Stationen der Geschichte, die ich in den Kapiteln 2 bis 10 erzählt habe, einzugehen.
    Am Ende der letzten Eiszeit, also vor etwa 15   000 Jahren, entstand aufgrund der globalen Erwärmung ein begünstigter Gürtel (etwa 20

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