Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
das erst einmal der Fall war, würde die Wahrscheinlichkeit zunehmen, dass neu gewonnene geographische Vorteile die industrielle Revolution im Westen eher anstoßen würden als im Osten. Vermutlich hätte nur eine wahrhaft welterschütternde Katastrophe dies verhindern können, ein Ereignis, wie es Isaac Asimov in der Geschichte
Und Finsternis wird kommen …
beschreibt, von der ich in Kapitel 1 gesprochen habe: ein Unglück von biblischem Ausmaß, das alle Zivilisation zerstört und die Menschheit auf den Nullpunkt zurückschleudert.
»Und Finsternis wird kommen …«
Aber auch das war ziemlich unwahrscheinlich. Am nächsten kam die Welt vor der Zeit, als der Westen die Führung übernahm, einer solchen Katastrophe um |553| 10 800 v. u. Z., als gewaltige Mengen von Schmelzwasser vom nordamerikanischen Kontinent in den Atlantik abflossen und dessen Temperaturen so stark absinken ließen, dass die Warmwasserheizung des Golfstroms ausgeschaltet wurde. Die darauf folgende 1200 Jahre währende Mini-Eiszeit, die als Jüngere Dryas bekannt ist, brachte die gesellschaftliche Entwicklung zum Stillstand und beendete die ersten zaghaften Ansätze eines sesshaften bäuerlichen Lebens im Fruchtbaren Halbmond. Die Jüngere Dryas lässt jede andere weltweite Kältephase nach ihr als so harmlos erscheinen, dass es sich nicht einmal gelohnt hätte, dafür einen Pullover aus dem Schrank zu holen.
Die Folgen, die ein Naturereignis vom Ausmaß der Jüngeren Dryas irgendwann innerhalb der letzten Jahrtausende gehabt hätte, sind so schrecklich, dass man sie sich gar nicht genauer ausmalen möchte. Über fast ewige Zeiten wären die jährlichen Ernten ausgefallen und Menschen zu Hundertmillionen verhungert. Weite Teile Europas, Nordamerikas und Zentralasiens wären durch Massenabwanderungen entvölkert worden. Die daraus folgenden Kriege, politischen Wirren und Seuchen hätten alles bis dahin Gesehene in den Schatten gestellt. Es wäre gewesen, als hätten die fünf apokalyptischen Reiter ihre Rosse gegen Panzer eingetauscht. Eine dezimierte, frierende und verängstigte Bevölkerung hätte sich dicht um den Äquator zusamamengedrängt, auf Regen gehofft und der ausgedörrten Erde die Nahrung zum Leben abgetrotzt. Jahrtausende der gesellschaftlichen Entwicklung wären zunichte gemacht worden.
Auch andere Katastrophenszenarien sind denkbar. So haben Astronomen mit einer Vorliebe fürs Morbide ausgerechnet, dass der Einschlag eines Asteroiden von eineinhalb Kilometern Durchmesser der Sprengkraft von 100 Milliarden Tonnen TNT entsprechen würde. Über den Verheerungsgrad der Folgen gehen die Meinungen auseinander. Gewiss ist nur, dass sich vorübergehend dichte Staubwolken in der Stratosphäre sammeln und das Sonnenlicht weitgehend von der Erde fernhalten würden. Millionen Menschen würden verhungern. Die durch den Einschlag entstehenden Stickstoffoxide würden die Ozonschicht zerstören, sodass die Überlebenden schutzlos der mörderischen ultravioletten Strahlung ausgeliefert wären. Würde ein Asteroid von drei Kilometern Durchmesser auf die Erde stürzen, so wären die Folgen eindeutiger. Die Wucht des Einschlags würde der Sprengkraft von zwei Billionen Tonnen TNT entsprechen, und das würde vermutlich kein Mensch überleben.
Zum Glück wurden uns keine solchen Hindernisse in den Weg gelegt, also hat es wenig Sinn, sich grausige Gedanken darüber zu machen, wie schlimm es hätte kommen können. Asteroideneinschläge und Eiszeiten sind anders als Kriege und kulturelle Muster: Wir haben (oder hatten zumindest bis vor kurzem) keinen Einfluss darauf. Kein vertrottelter Stümper, keine kulturelle Entwicklung und kein Zufall wäre in der Lage gewesen, genügend Schmelzwasser herbeizuzaubern, um damit den Golfstrom auszuschalten, ergo hätte es keine zweite Jüngere Dryas geben können, und selbst die pessimistischsten Astronomen gehen davon aus, |554| dass die Erde nur alle paar 100 000 Jahre von einem kilometergroßen Asteroiden getroffen wird.
Tatsächlich gibt es fast nichts, was ein vertrottelter Stümper oder einer der anderen genannten Größen irgendwann im Laufe der Geschichte hätte anstellen können, um eine Katastrophe von biblischem Ausmaß herbeizuführen. Auch die blutigsten Kriege, die wir selbst über die Menschheit gebracht haben, die Weltkriege des 20. Jahrhunderts, unterstrichen nur machtpolitische Strömungen, die bereits in Gang gesetzt waren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten die USA, ein neuer
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