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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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ziemlich wenig Hinweise darauf, dass die Affenmenschen zuvor überhaupt einen kreativen Drang verspürt haben,
Homo sapiens
allerdings scheint die Kreativität einprogrammiert zu sein. Vor etwa 50   000 Jahren hatten die Menschen die mentalen Fähigkeiten, in der Welt nach Bedeutungen zu suchen, und auch die Geschicklichkeit erlangt, diese Bedeutungen in dinglichen Artefakten zum Ausdruck zu bringen, sicher auch in Dichtung, Musik und Tanz – was wir natürlich nie werden belegen können. Auch hier gilt, dass Menschen (in großen Gruppen betrachtet) weitgehend gleich zu sein scheinen, wo immer wir auf ihre Spuren stoßen. Bei all ihrer Pracht: Die Malerei von Altamira macht den Westen nicht zu etwas anderem als den Rest der Welt.
     
    Technische, geistige und biologische Unterschiede, die, nachdem der erste Affenmensch Afrika verlassen hatte, über anderthalb Millionen Jahre akkumuliert wurden, teilten die Alte Welt in einen Westen mit
Homo neanderthaliensis/Homo sapiens
und einen Osten mit
Homo erectus
. Vor ungefähr 100   000 Jahren war der Westen charakterisiert durch relativ fortgeschrittene Techniken und sogar durch |87| modern anmutende Handlungsweisen, wie etliche Hinweise nahelegen, während der Osten zunehmend zurückgeblieben wirkt. Als dann jedoch, vor 70   000 Jahren, anatomisch moderne Menschen aus Afrika herauswanderten, spülten sie alle diese Unterschiede hinweg. Als die letzte Eiszeit vor 20   000 Jahren ihren Höhepunkt erreichte, waren »Osten« und »Westen« lediglich Himmelsrichtungen, in denen die Sonne auf- beziehungsweise unterging. Menschen, die mehr miteinander verband als trennte, lebten in kleinen Gruppen verstreut zwischen England und Sibirien – und erreichten (ziemlich) schnell auch den amerikanischen Kontinent. Jede dieser Gruppen suchte Nahrung und ging auf die Jagd, durchstreifte riesige Gebiete, folgte dem Rhythmus, in dem die Pflanzen reif wurden und die Tiere hin- und herzogen. Jede Gruppe wird ihr Territorium genau gekannt, wird über jeden Felsen und jeden auffälligen Baum Geschichten erzählt haben; jede wird ihre eigenen Artefakte, eigene Kunstfertigkeiten und Traditionen, ihre Werkzeuge und Waffen, ihre Geister und Dämonen gehabt haben. Und jede wird auch gewusst haben, dass ihre Götter sie liebten, schließlich waren sie trotz aller Widrigkeiten noch immer am Leben.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung 1.6: Schaffensdrang
Die kopflose 59,7 mm hohe und 33,3 g schwere »Venus vom Hohle Fels« aus Mammutelfenbein. Mit einem Alter von mindestens 31   000, höchstens 35   000 Jahren ist sie die weltweit älteste gesicherte Darstellung eines Menschen.
    Die Menschen waren so weit gekommen, wie es ihnen in einer derart kalten, regenarmen Welt möglich war. Doch dann schwankte die Erde unter ihren Füßen.

|88| Kapitel 2
Der Westen geht in Führung
    Globale Erwärmung
    Auch wenn die Höhlenmenschen, die vor 20   000 Jahren bibbernd um ihre Lagerfeuer hockten, davon nichts ahnten, so hatte doch ihre Welt begonnen, sich zurückzubewegen in Richtung Wärme. Im Verlauf der nächsten 10   000 Jahre sollte das Zusammenwirken von Klimawandel und den schnellen Superhirnen von
Homo sapiens
die Geographie verändern, und in diesem Prozess entstanden regional unterschiedene Lebensweisen, die sich bis heute erhalten haben. »Osten« und »Westen« bekamen eine Bedeutung.
    Die Folgen der globalen Erwärmung waren unvorstellbar. Um 17   000 v. u. Z. schmolzen in nur zwei oder drei Jahrhunderten die Gletscher, die Nordamerika, Europa und Asien bedeckt hatten. Im Gebiet zwischen der heutigen Türkei und der Krim, dort, wo heute die Wellen des Schwarzen Meeres rollen, erstreckte sich während der Eiszeit ein tiefes Becken (Abbildung 2.1). Der Abfluss der Gletscher verwandelte es nun in das weltweit größte Süßwasserbecken. Das geschah mit einer Flut, die einer Arche Noah würdig gewesen wäre 1* : In bestimmten Phasen stieg das Wasser täglich um 15 Zentimeter. Jedesmal, wenn sich die Sonne über den Horizont hob, war das Seeufer um weitere anderthalb Kilometer landeinwärts gewandert. Kein Ereignis der jüngeren Erdgeschichte kam dem gleich.
    Die sich verschiebende Umlaufbahn der Erde löste ein wildes Auf und Ab von Erwärmung und Abkühlung, von Überfluss und Hunger aus. Abbildung 2.2 zeigt die extremen Schwankungen des Verhältnisses zweier Sauerstoffisotope in den antarktischen Eisbohrkernen, von denen in Kapitel 1 die Rede war. Diese Schwankungen folgen den Sprüngen des Klimas.

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