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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Tiere, die es während der Eiszeit in diese gemäßigten Zonen getrieben hatte, vermehrten sich nach 12   700 v. u. Z. gewaltig, insbesondere an beiden Enden Asiens (vgl. Abbildung 2.1), wo wilde Getreidearten – Vorläufer von Gerste, Weizen und Roggen in Südwestasien, von Reis und Hirse in Ostasien – große Samenkörner entwickelten, die Sammler zu Grütze kochen oder mahlen und zu Brot backen konnten. Sie mussten bloß warten, bis die Samen reif waren, die Körner herausschütteln und einsammeln. Experimente mit heutigem Wildgetreide in Südwestasien ergaben, dass man mit dieser Methode auf 10   000 Quadratmetern eine Tonne essbare Samen gewinnen kann; jede Kalorie Energie, die für die Ernte eingesetzt wurde, ergab eine Ausbeute von 50 Kalorien in der Nahrung. Es war die »Goldene Zeit der Wildbeuter« in diesen Weltgegenden.
    Eiszeitliche Jäger und Sammler hatten die Landschaft in kleinen Gruppen durchstreift, denn die Nahrung war knapp; ihre Nachfahren konnten ihre Lebensweise nun ändern. Wie andere Tierarten mit großem Gehirn (Bienen etwa, Delphine, Papageien oder unsere nächsten Verwandten, die Affen) scheinen die Menschen instinktiv große Gruppen zu bilden. Wir sind gesellige Wesen.
    Das mag damit zusammenhängen, dass Tiere mit großem Gehirn gescheit genug sind zu erkennen, dass sie in der Gruppe über mehr Augen und Ohren verfügen als ein Einzelwesen, und so früher auf ihre Fressfeinde aufmerksam werden. Es könnte allerdings, wie manche Evolutionstheoretiker behaupten, auch umgekehrt gewesen sein, und das Zusammenleben in Gruppen ging dem Wachstum des Gehirns voraus. Mit dem Zusammenleben habe begonnen, was der Hirnforscher Steven Pinker »kognitives Wettrüsten« 1 genannt hat 1* – ein Prozess, in dem die Tiere, die sich daran zu erinnern begannen, wer von ihresgleichen ihnen freundlich gesonnen war oder feindlich, wer mit ihnen teilte und wer nicht, solchen überlegen waren, deren Gehirn dazu nicht in der Lage war.
    Wie auch immer, wir haben uns dazu entwickelt, Gesellschaft zu mögen, und unsere Vorfahren reagierten auf den Aufwärtssprung, den die Erde in der Energiekette vollführte, indem sie größere Gruppen bildeten. Um 12   500 v. u. Z. war es in den Glücklichen Breiten nicht mehr selten, dass 40 oder 50 Menschen zusammen lebten; es wurden sogar Spuren von Gruppen gefunden, die über 100 Individuen zählten.
    Während der Eiszeit bauten die Menschen in der Regel ein Lager, aßen die Pflanzen, jagten die Tiere, die sie im Umkreis finden konnten, zogen dann weiter zum nächsten Ort und so immer weiter. Bis heute singen wir Lieder vom Wandern, vom Umherziehen frei wie die Vögel, doch als es der Große Sprung in der Energiekette unseren Vorfahren ermöglichte, sich niederzulassen, fanden sie Haus und Herd wohl attraktiver. Menschen in China begannen bereits um 16   000 v. u. Z. damit, Tongefäße herzustellen (keine gute Idee, wenn man vorhat, alle |93| paar Wochen weiterzuziehen). Im Hochland von Peru errichteten Sammler und Jäger um 11   000 v. u. Z. Wälle und Mauern – eine sinnlose Anstrengung für hochmobile Gruppen, aber vernünftig, wenn man vorhat, für Monate an einem Platz zu bleiben.
    Die eindeutigsten Hinweise auf Gruppenbildung und beginnende Sesshaftigkeit stammen aus einer Gegend, die als Fruchtbarer Halbmond bekannt ist, aus dem Hügelland entlang der Flusstäler von Jordan, Euphrat und Tigris in Südwestasien. In diesem Kapitel werde ich vor allem über diese Region sprechen, in der Menschen die ersten Schritte unternahmen, die sie wegführten von den Lebensformen der Sammler und Jäger – und die zugleich die Wiege des Westens ist.
    Die Fundstätte von Ain Mallaha im heutigen Israel (Abbildung 2.3; auch bekannt als Eynan) gibt das beste Beispiel für das Geschehen. Um 12   500 v. u. Z. baute dort ein heute namenloses Volk halb unterirdische Rundhäuser, gut neun Meter im Durchmesser; die Wände waren aus Kalkstein aufgesetzt, behauene Baumstämme trugen das Dach. Verbrannte Nahrungsreste zeigen, dass die Leute aus Ain Mallaha eine erstaunliche Vielfalt von Nüssen und Pflanzen sammelten, die zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres reif waren, und diese in Gruben aufbewahrten, die sie mit Mörtel wasserdicht gemacht hatten. Steinmörser dienten zum Zerreiben der Früchte. Um die Siedlung verstreut fand man die Knochen von Rotwild, Füchsen, diversen Vogelarten und vor allem von Gazellen. Archäologen freuen sich, wenn sie Gazellenzähne finden, denn diese

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