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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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über 75 Kilometer lange Assad-Stausee, der noch heute den größten Teil des Stroms für Syrien liefert. Weil absehbar war, dass der Stausee das Herz des Fruchtbaren Halbmonds überfluten würde, startete das syrische Generaldirektorat der Altertümer eine internationale Kampagne, um die Siedlungsplätze zu untersuchen, die zerstört werden würden. 1971 erkundete ein britisches Team den Grabhügel von Abu Hureyra. Funde an der Oberfläche ließen erkennen, dass dort um 7000 v. u. Z. ein Dorf gestanden haben muss, was die Archäologen detailliert dokumentierten. In einem der gezogenen Gräben sah man, dass diese Siedlung auf den Ruinen einer älteren errichtet worden war, die auf 12   700 v. u. Z. zu datieren war.
    Eine unglaubliche Chance, und die Ausgräber begannen einen Wettlauf mit der Zeit, denn das Wasser stieg; 1973 wurde daraus auch ein Kampf gegen den Krieg, denn die syrische Armee mobilisierte viele der Grabungsarbeiter für den Yom-Kippur-Krieg gegen Israel. Als die Fundstätte schließlich überflutet wurde, hatte das Team etwas mehr als 45 Quadratmeter der ältesten Siedlung ausgegraben: eine winzige Fläche, doch archäologisch eine der bedeutsamsten. Man fand die Überreste eingetiefter runder Holzhütten, Mahlsteine, Feuerstätten und tausende verkohlte Samen. Die meisten davon stammten von Wildgräsern, doch man fand auch eine Handvoll plumper, schwerer Roggenkörner.
    Aus diesen Körnern war zu schließen, dass die Leute von Abu Hureyra Hacken nutzten, um den Boden zu bestellen. Sie warfen die Samen nicht einfach auf die Erde, sondern arbeiteten sie unter die Oberfläche. Und das verschaffte größeren Sämlingen, die besser in der Lage waren, dem Licht entgegen zu wachsen als kleinere Pflanzen, Vorteile. Hätten die prähistorischen Bauern einfach alles verzehrt, |98| was sie ernteten, wäre dies ohne Bedeutung gewesen. Wenn sie aber Samen zurückbehielten, um sie im nächsten Jahr auszusäen, dann wären großkörnige Samen leicht überrepräsentiert gewesen. Zunächst dürfte der Unterschied wohl kaum bemerkt worden sein, aber als die Bauern dies oft genug wiederholt hatten, muss sich, weil die Durchschnittsgröße der Samenkörner langsam wuchs, ihre Vorstellung von »normal« nach und nach geändert haben. Archäobotaniker (sie studieren, was von alten Pflanzen blieb) nennen diese größeren Samen »kultiviert« 2 , um sie von wilden Samen einerseits und von den vollends domestizierten Formen andererseits zu unterscheiden, die wir heute verzehren.
    Um 11   000 v. u. Z., als die Leute von Ain Mallaha die alte Frau und ihr Hündchen bestatteten, hatten die Bewohner von Abu Hureyra ihren Roggen so oft erneut ausgesät, dass er größere Körner trug. Selbst wenn dieser Unterschied zunächst eher gering gewesen sein mag, erwiesen sich diese Körner (um eines der schlechten Wortspiele von Archäologen aufzugreifen) als die Saat, aus dem der Westen wachsen sollte.
    Das verlorene Paradies
    Unbeeindruckt von Welpen und Roggen schmolzen einen halben Erdumfang entfernt die Gletscher noch immer. 100   000 Jahre zuvor hatte ihr Vormarsch Nordamerika flach gescheuert und die riesigen Ebenen des Mittelwestens geformt; der Rückzug der Gletscher machte aus diesen zunehmend bewaldeten Ebenen eine sumpfige, mückengeplagte, unwirtliche Gegend. »Drunken woodland« nennen Ökologen das, denn der Boden ist so aufgeweicht, dass Bäume sich nicht aufrecht halten können. Felskämme und Eis, das noch nicht geschmolzen war, fingen das Tauwasser der Gletscher in riesigen Seen. Den größten davon haben Geologen Lake Agassiz (vgl. Abbildung 2.1) genannt, nach dem Schweizer Wissenschaftler, der in den 1830er Jahren als Erster erkannt hat, dass es so etwas wie eine weltweite Eiszeit gegeben haben muss. Um 10   800 v. u. Z. bedeckte Lake Agassiz über 500   000 Quadratkilometer der Western Plains, war also viermal größer als der Obere See unserer Tage. Da geschah, was geschehen musste: Steigende Temperaturen und steigende Wasserspiegel unterminierten den Eisriegel, der die Wassermassen im Lake Agassiz noch zurückhielt.
    Nachdem dieser Damm gebrochen war, folgte eine endlos lange Überschwemmung. In
The Day After Tomorrow
, diesem so eindrucksvoll unplausiblen Film, spielt Dennis Quaid den Wissenschaftler Jack Hall – im Film wohl der Einzige, der erkannt hat, dass die globale Erwärmung über kurz oder lang die Eiskappen wird schmelzen lassen. Der Mann wird ins Weiße Haus bestellt, er erklärt dem

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