Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
in einem Garten Eden; es mochte dort frostig-kühl sein, doch die reichen Ressourcen des Meeres sicherten ihnen, die relativ dicht ganzjährige Siedlungen bewohnten, den Lebensunterhalt. Archäologen haben große Mengen Muschelschalen ausgegraben, die Reste von Festgelagen, die sich um die Hütten auftürmten. Die Natur war offenbar so reich, dass die Leute dort den Pudding (das Seegetier) behielten, auch wenn sie ihn aßen. Es gab so viele Wildbeuter, dass sie den Ackerbauern Widerstand leisten konnten, aber sie waren auch nicht so zahlreich, dass sie es den Bauern hätten gleichtun müssen, damit alle satt wurden. Umgekehrt mussten die Ackerbauern feststellen, dass Pflanzen, die im Fruchtbaren Halbmond domestiziert worden waren, hier im Norden nicht besonders gut gediehen.
Warum sich der Ackerbau ab 4200 v. u. Z. dennoch weiter nach Norden ausgebreitet hat, wissen wir nicht. Manche Archäologen vermuten, dass der Druck wuchs, als sich die Bauern so stark vermehrt hatten, dass sie die Sammler einfach niederwalzten. Andere denken an Sogwirkungen: Eine Krise in den Sammlergemeinschaften könnte den Norden für eine Invasion geöffnet haben. Was auch immer geschah, die Ausnahme in der Küstenregion der Ostsee scheint die Regel zu bestätigen, dass die ursprüngliche Überflussgesellschaft einfach nicht überleben konnte, nachdem der Ackerbau im Fruchtbaren Halbmond erst einmal entstanden war.
Indem ich das feststelle, bestreite ich jedoch nicht Existenz und Wirksamkeit des freien Willens. An jedem ihm gegebenen Tag hätte jeder prähistorische Wildbeuter sich entscheiden können, den Ackerbau nicht zu intensivieren; so wie jeder Bauer seine Felder, jede Bäuerin ihre Mahlsteine hätte verlassen können, um Wild zu jagen oder Nüsse zu sammeln. Manche werden das auch getan haben, mit spürbaren Konsequenzen für ihr jeweiliges Leben. Auf lange Sicht aber hat das nichts geändert, denn die Konkurrenz um Ressourcen führte dazu, dass Menschen, die beim Ackerbau blieben und diesen vielleicht noch intensiver betrieben, eine höhere Energieausbeute erzielten als jene, die das nicht taten. Bauern konnten weiterhin mehr Kinder und mehr Vieh ernähren, sie rodeten neue Felder und gewannen immer weitere Vorteile vor den Sammlern. Unter entsprechenden Bedingungen, solchen nämlich, wie sie um 5200 v. u. Z. an der Ostsee herrschten, |121| konnte aus dem Vormarsch des Ackerbaus ein Kriechen werden. Doch diese Bedingungen änderten sich auch wieder.
Auch lokale Rückschläge wird der Ackerbau erlitten haben. Überweidung etwa hat das Jordan-Tal zwischen 6500 und 6000 v. u. Z. zu einer Wüste gemacht. Doch wenn sich keine Klimakatastrophe, kein neues Jüngeres Dryas ereignete (und dazu kam es nicht), dann hätte aller freie Wille der Welt nicht ausgereicht, um zu verhindern, dass Ackerbau und die entsprechende Lebensweise alle geeigneten Nischen eroberte. Das Zusammenwirken von intelligentem
Homo sapiens
und warmem, feuchtem und stabilem Wetter plus Pflanzen und Tieren, die sich zu domestizierten Formen entwickeln konnten, machte das so unausweichlich, wie nur irgendetwas in dieser Welt unausweichlich sein kann.
Um 7000 v. u. Z. waren die dynamischen, expandierenden Ackerbaugesellschaften am westlichen Ende Eurasiens mit nichts anderem auf dem Globus vergleichbar, und an genau diesem Punkt ist es sinnvoll, den »Westen« von der übrigen Welt zu unterscheiden. Allerdings war dieser Unterschied nicht von Dauer, und im Verlauf einiger Jahrtausende machten sich Menschen in etwa einem halben Dutzend anderer Regionen der Glücklichen Breiten ihrerseits daran, den Ackerbau zu erfinden (Abbildung 2.6).
Am frühesten und eindeutigsten geschah das im heutigen China. Im Jangtse-Tal begannen Anbau und Züchtung von Reis zwischen 8000 und 7500 v. u. Z.; seit 6500 wurde in Nordchina Hirse kultiviert. Völlig domestiziert war Hirse um 5500, Reis um 4500 v. u. Z. Zwischen 6000 und 5500 waren Schweine domestiziert. Jüngste Funde haben gezeigt, dass der Ackerbau fast ebenso früh auch in der Neuen Welt begonnen hat. Ab 8200 v. u. Z. wurden im peruanischen Nanchoc-Tal und zwischen 7500 und 6000 v. u. Z. im mexikanischen Oaxaca-Tal aus kultivierten Kürbisarten domestizierte Pflanzen. Erdnüsse tauchen in Nanchoc um 6500 auf. Nach archäologischen Funden in Oaxaca hat sich das Wildgras Teosinte erst um 5300 v. u. Z. in domestizierten Mais verwandelt; Genetiker vermuten aber, dass der Prozess der Kultivierung und Domestizierung bereits um 7000 v.
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