Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
u. Z. begonnen haben muss.
Die Domestizierungen in China und der Neuen Welt geschahen definitiv unabhängig vom Geschehen im Fruchtbaren Halbmond; weniger eindeutig liegen die Dinge im Indus-Tal. In der archäologisch bedeutsamen Siedlungsgruppe Mehrgarh tauchten um 7000 v. u. Z. Hafer, Weizen und Schafe in kultivierter beziehungsweise domestizierter Form auf – und zwar so plötzlich, dass viele Archäologen glauben, dass sie mit Migranten aus dem Fruchtbaren Halbmond dorthin kamen. Dafür spricht vor allem der Weizenfund, denn bis jetzt hat noch niemand lokale Wildformen identifiziert, aus denen irgendwo in der Nähe von Mehrgarh Weizen hätte kultiviert werden können. Allerdings haben Botaniker die Region nicht sehr gründlich untersucht (nicht einmal der pakistanischen Armee ist danach zumute, in diesen wilden Stammesgebieten herumzustöbern), es könnte also durchaus noch Überraschungen geben. Bis jetzt aber sprechen die Funde dafür, dass die Agrikultur des Indus-Tals ein Ableger aus dem Fruchtbaren Halbmond ist. Doch dann sollten wir sofort festhalten, dass der Ackerbau dort rasch eigene Entwicklungsschritte ging. So wurde das indigene Zeburind um 5500 v. u. Z. domestiziert, und um 2500 v. u. Z. gab es dort eine hochentwickelte städtische Kultur mit eigener Schrift.
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Abbildung 2.6: Gelobtes Land
Sieben Regionen rund um die Welt, in denen zwischen 11 000 und 5000 v. u. Z. unabhängig voneinander die Domestizierung von Pflanzen und Tieren begonnen haben könnte.
|123| Der Osten der Sahara war um 7000 v. u. Z. feuchter als heute, jeden Sommer füllten starke Monsunregen die Seen der Region. Insgesamt aber waren die Lebensbedingungen in der Wüste sehr hart, gleichzeitig wird man die Lebensfeindlichkeit dieser Wildnis als Mutter von Erfindungen betrachten müssen: Rinder und Schafe hatten dort alleine keine Chance, aber die Wildbeuter konnten ihr Leben verbessern, wenn sie Tiere von Wasserstelle zu Wasserstelle trieben. Zwischen 7000 und 5000 v. u. Z. wurden die nomadischen Wildbeuter zu Hirten und aus ihren wilden Rindern und Schafen größere und zahmere Tiere.
Um 5000 v. u. Z. entwickelte sich der Ackerbau auch in zwei Hochlandzonen: zum einen in Peru, wo Lamas und Alpakas domestiziert wurden und der Inkareis (Quinoa) sich so veränderte, dass die Körner nicht mehr zu Boden fielen; zum anderen in Neuguinea. Die Funde dort wurden so kontrovers diskutiert wie die aus dem Indus-Tal, doch inzwischen steht fest, dass die Leute im Hochland von Neuguinea um 5000 v. u. Z. Brandrodungen durchführten, Sümpfe trockenlegten, Bananen und Taro (Wasserbrotwurzel) domestizierten.
Es sind dies Regionen mit einer sehr unterschiedlichen Geschichte, doch waren sie, wie der Fruchtbare Halbmond auch, Ausgangspunkte für eine jeweils eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Tradition, die sich bis in unsere Tage erhielt. Hier nun können wir die Frage beantworten, die uns von Anfang an verfolgt, wie nämlich »Westen« zu definieren sei. Im ersten Kapitel haben wir die Kritik des Historikers Norman Davies kennen gelernt, der die kursierenden Definitionen des Westens »elastisch« genannt hat, ersonnen nur, um den Interessen derer zu dienen, die sie jeweils in Umlauf bringen. Mit seiner Weigerung allerdings, überhaupt vom Westen zu sprechen, schüttete er das Kind mit dem Bade aus. Dank der zeitlichen Tiefe, die die Archäologie erreicht hat, sind wir inzwischen ein wenig weiter.
Alle großen Zivilisationen der heutigen Welt gehen auf die Episoden ursprünglicher Domestizierung am Ende der Eiszeit zurück. Wir müssen uns von den intellektuellen Kabbeleien, die Davies beschrieben hat, den Begriff »Westen« nicht länger madig machen lassen. Es ist eine analytische, genauer: eine geographische Kategorie, die sich auf solche Gesellschaften bezieht, die sich vom westlichsten Kerngebiet der Domestizierung ableitet, dem Fruchtbaren Halbmond. Es ist unsinnig, vom »Westen« als einer abgrenzbaren Region zu sprechen, wenn es um Zeiträume vor 11 000 v. u. Z. geht; erst danach, und zwar durch die Vorgänge rund um die Domestizierung, entwickelt sich der Fruchtbare Halbmond zu einer ungewöhnlichen Region. Zu einem wirklich analytischen Werkzeug wird der Begriff »Westen« erst nach 8000 v. u. Z., als sich agrikulturelle Kerngebiete herausbildeten. Um 4500 v. u. Z. hatte sich der Westen vergrößert und umfasste nun |124| auch den größten Teil Europas. In den letzten 500 Jahren trugen
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