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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Kolonisten diese Kultur nach Nord- und Südamerika, zu den Antipoden und nach Sibirien. Dementsprechend sind mit »Osten« jene Gesellschaften gemeint, die vom östlichsten Kerngebiet der Domestizierung abstammen, das sich ab 7500 v. u. Z. in China entwickelt hat. Wir können auch von vergleichbaren Traditionen der Neuen Welt, Südasiens, Neuguineas und Afrikas sprechen. Die Frage nach der Vorherrschaft des Westens zielt eigentlich auf die Gründe, aus denen die Gesellschaften, die sich vom agrikulturellen Kernland im Fruchtbaren Halbmond herleiten, dazu kamen, den Planeten zu beherrschen, und nicht solche, die in den Entwicklungskernen in China, Mexiko, im Indus-Tal, in der Ostsahara, Peru oder Neuguinea ihren Ausgang nahmen.
    Eine der Erklärungen, die von langfristiger Determination ausgehen, kommt einem an dieser Stelle sofort in den Sinn: Die Menschen aus dem Fruchtbaren Halbmond – die ersten »Westler« also – hätten den Ackerbau Tausende von Jahren vor allen anderen deshalb entwickelt, weil sie einfach klüger und geschickter gewesen wären. Mit ihren Genen und ihren Sprachen hätten sie ihre Intelligenz weitergegeben, während sie sich in Europa verbreiteten; Europäer hätten sie mitgenommen, als sie ab 1500 u. Z. andere Erdteile kolonisierten. Und aus diesem Grund regiere der Westen die Welt.
    Das ist falsch, nicht anders als die in Kapitel 1 diskutierten rassistischen Theorien. Und zwar aus Gründen, die der Evolutionstheoretiker und Geograph Jared Diamond in seinem Klassiker
Arm und reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften
so überzeugend dargestellt hat. Die Natur, so Diamond, sei einfach ungerecht. Nicht weil die dort lebenden Menschen einzigartig intelligent gewesen wären, wurde der Ackerbau im Fruchtbaren Halbmond nachweislich tausende Jahre früher entwickelt als irgendwo anders, sondern weil die geographischen Bedingungen diesen Menschen gute Startchancen boten.
    Es gibt derzeit, wie Diamond feststellt, etwa 200   000 Pflanzenarten auf der Welt, doch nur einige 1000 davon sind essbar und nur einige 100 würden sich zur Domestizierung eignen. Tatsächlich stammt die Hälfte der heute konsumierten Kalorien von Getreidearten, vor allem von Weizen, Mais, Reis, Gerste und Hirse. Die Wildgräser, aus denen sich diese Getreidearten entwickelt haben, existieren nicht gleichmäßig über den Globus verteilt. Von den 56 Gräsern mit den größten, nahrhaftesten Samen waren 33 Arten wild in Südwestasien und im Mittelmeerraum heimisch. In Ostasien gibt es nur sechs wilde Arten, in Mittelamerika fünf, in Afrika südlich der Sahara vier, ebenfalls nur vier in Nordamerika, in Südamerika und Australien jeweils zwei und in Westeuropa eine. Wenn Menschen (in großen Gruppen betrachtet) einander ziemlich gleich sind und Wildbeuter überall in der Welt gleichermaßen träge, gierig und ängstlich waren, dann ist es einfach wahrscheinlich, dass die Menschen aus dem Fruchtbaren Halbmond diejenigen waren, die als erste Pflanzen und Tiere domestiziert haben, denn sie hatten das aussichtsreichere Ausgangsmaterial zur Hand.
    |125| Der Fruchtbare Halbmond bot noch weitere Vorteile. Um wilde Gerste und Weizen zu domestizieren, brauchte es gerade mal eine genetische Mutation, um dagegen Teosinte in etwas Maisähnlichliches zu verwandeln, waren Dutzende von Mutationen erforderlich. Die Menschen, die um 14   000 v. u. Z. nach Nordamerika kamen, waren nicht fauler oder dümmer als irgendwer sonst, und sie machten sicher nicht den Fehler, Teosinte anstelle von Weizen zu domestizieren. Es gab schlicht keinen Weizen in der Neuen Welt. Die Einwanderer hätten aber auch keine Getreidesamen aus der Alten Welt mitbringen können, denn sie konnten nur so lange in die Neue Welt gelangen, wie eine Landbrücke nach Asien bestand. Als sie über diese Landbrücke zogen – bevor der steigende Meeresspiegel die Landverbindung überspülte, also um 12   000 v. u. Z. –, gab es noch gar keine domestizierten Pflanzen, die sie hätten mitbringen können; und als es diese Pflanzen gab 1* , war die Landbrücke längst überflutet.
    Nicht weniger begünstigt war der Fruchtbare Halbmond im Hinblick auf die dort lebende Tierwelt. Weltweit gibt es derzeit 148 Arten großer (über 50 Kilogramm schwerer) Säugetiere. Um 1900 u. Z. waren gerade 14 dieser Arten domestiziert, und sieben davon stammen aus Südwestasien. Alle der weltweit wichtigsten Haustiere (Schafe, Ziegen, Rinder, Schweine und Pferde) hatten – das Pferd ausgenommen

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